Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
Sie wagte nicht einmal zu atmen. Noch immer hoffte sie, dass die ausladenden Wedel ihr ausreichend Deckung boten. Vielleicht würde die Sphinx sie ja nicht entdecken. Schließlich hielt das Monster die Augen immer noch geschlossen.
Der gewaltige Löwenkörper glitt unaufhaltsam auf das Mädchen in seinem Versteck zu. Er schien aus purem Silber zu bestehen – und war dennoch höchst lebendig. Fast mühelos bewegte er sich durch das Dickicht des Urwalds. Die mächtigen Schwingen auf dem Rücken stellten sich auf und fächerten Laura den strengen Modergeruch des Dschungels entgegen. Es war so heiß und feucht, dass Laura der Schweiß in Strömen über den Rücken lief, obwohl sie am ganzen Körper zitterte. Ihr war, als rinne flüssige Lava durch ihre Kehle, und ihre Lungen schienen zu brennen. Laura musste würgen und konnte das Husten nicht mehr länger unterdrücken.
Da öffnete die Sphinx die Augen. Sie funkelten rot wie Rubine und bildeten einen scharfen Kontrast zu dem Silberglanz, der das edle Antlitz der Kriegerin überzog. Die Silberlippen schienen sich eben zu einem Lächeln zu verziehen, als die Rubinaugen aufleuchteten und Laura Blitze aus purpurnem Licht entgegenschossen. Das Mädchen zuckte zurück und führte eine Hand vor die Augen, damit die laserartigen Strahlen es nicht blendeten.
Als wolle die Sphinx sich über Laura lustig machen, öffnete sie den Mund und lachte aus vollem Hals. Wie der Klang mächtiger Glocken übertönte dieses Lachen alle Geräusche des Dschungels: das Zwitschern der exotischen Singvögel, das
Krächzen der Papageien, das Keckem der Affen und auch das Fauchen der Raubtiere, die, auch wenn Laura sie nicht sehen konnte, ganz gewiss durch das Unterholz schlichen und jeden Moment über sie herfallen konnten.
Plötzlich begann die Sphinx zu sprechen. »Es hilft doch nichts, wenn du dich versteckst«, sagte sie sanft. »Du kannst mir doch nicht entkommen.« Die Stimme war überraschend angenehm. Wieder spielte ein Lächeln um ihren Mund. »Also sei nicht feige, und erhebe dich!«
Laura gehorchte nicht. Im Gegenteil: Sie verkroch sich tiefer unter die Wedel, bis diese sie wie eine grüne Bettdecke verhüllten.
Die edlen Züge der Kriegerin verzerrten sich und nahmen einen zornigen Ausdruck an. »Steh endlich auf, Laura! Steh auf, sonst – «
» – kommen wir zu spät zum Frühstück!«
Laura schlug die Augen auf und schaute direkt in ein sommersprossiges Mädchengesicht, das von grellroten Korkenzieherlocken gerahmt wurde. Kaja Löwenstein. Laura sah sich verwirrt um. Sie lag im Bett, und auf dem Rand saß ihre Freundin und starrte sie beunruhigt an.
»Was ist bloß los mit dir?«, wunderte sich das Pummelchen. »Erst bist du einfach nicht wach zu kriegen, und dann glotzt du mich an, als wäre ich das Ungeheuer von Loch Ness. Hast du etwa wieder –?«
»Genau.« Laura nickte mit ernster Miene. »Ich hab wieder geträumt. Die Silberne Sphinx war wieder hinter mir her.«
Kaja verdrehte die Augen und zog eine Schnute. »Das ist doch nicht normal«, murmelte sie. »Das muss doch einen Grund haben, dass du dauernd von diesem komischen Wesen träumst.«
»Komisch ist gut!«, entgegnete Laura voller Sarkasmus, schlug die Decke zur Seite und schwang sich aus dem Bett.
»Mir war alles andere als komisch zumute bei ihrem Anblick. Ganz im Gegenteil: Ich hatte Schiss. So viel Schiss wie noch nie in meinem Leben.«
»Tatsächlich?« Kaja musterte sie stirnrunzelnd. »Dann muss es ja wirklich schlimm gewesen sein. Normalerweise bin ich es doch, die die Hosen voll hat.«
Laura verpasste ihr einen freundschaftlichen Klaps. »Lass das nur nicht Lukas hören, sonst zieht er dich nur wieder auf!«
»Das soll der Typ bloß nicht wagen!« Empört blies Kaja die Wangen auf. »Sonst…«
»Was sonst?«
»Sonst sorg ich dafür, dass Lukas einen Traumbesuch von dieser Silbertussi erhält. Dann muss er am nächsten Morgen garantiert die Bettwäsche wechseln!« Damit brach sie in ein schallendes Gelächter aus, das so ansteckend war, dass Laura einfiel.
Nachdem die Mädchen sich wieder beruhigt hatten, schaltete Laura das Radio an. Die sanften Töne eines Popsongs schmeichelten sich in ihr Ohr. Laura erkannte ihn sofort: White Flag von Dido.
Auch Kaja schien das Lied zu kennen. Sie summte es mit, während sie die Nachttischschublade aufzog und eine Tafel Schokolade hervorholte.
»Hey«, mahnte Laura und hob den Zeigefinger. »Wolltest du nicht Diät halten?«
»Natürlich.« Kaja
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