Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
einfachen Schreibtisch, auf dem eine Petroleumlampe stand. Zwar waren nirgendwo Streichhölzer oder sonstige Zündhilfen zu entdecken, aber das bekümmerte Laura nicht. Vorsichtig nahm sie den Glaskolben ab, der die Flamme vor Zugluft schützen sollte, öffnete die Zufuhr und starrte mit höchster Konzentration auf den mit Petroleum getränkten Docht. Nur Augenblicke später entzündete er sich mit einem leisen Knistern. Laura setzte den Kolben wieder auf und regelte die Flamme so, dass sie ein angenehm warmes Licht spendete. Schon griff sie zur Lampe, um die Suche zu beginnen, als ihr Blick auf alte Kladden fiel, die am Rande des Tisches aufstapelt waren. Auf dem Etikett des obersten Heftes stand ein Name. Nur mit Mühe konnte Laura die altertümliche Handschrift entziffern. Als ihr das endlich gelungen war, hätte sie am liebsten vor Freude aufgeschrien. »Martha Anderle« stand da geschrieben. Und »Martha Anderle«, das war niemand anders als Muhme Martha, wie sie sich sofort erinnerte.
Papas Urgroßmutter!
Was nur bedeuten konnte, dass es sich bei den aufgetürmten Kladden um deren Nachlass handelte.
Aufgeregt eilte das Mädchen um den Tisch herum, um sich auf den dahinter stehenden Stuhl zu setzen. Da erst bemerkte es den Kalender an der vom flackernden Lichtschein erhellten Wand. Das Kalenderblatt zeigte, dass der erste Eindruck nicht getrogen hatte: Es war tatsächlich Hochsommer.
Juli – um genauer zu sein. Der 12. Juli 1904 – um ganz genau zu sein.
»Ja!«, jubelte Laura und ballte die Faust. Ihre Traumreise hatte sie also nicht nur ans richtige Ziel geführt, sondern sie auch genau am gewünschten Tag ankommen lassen und ihr zudem die dringend benötigten Dokumente in die Hände gespielt!
Jetzt galt es nur noch, in dem guten Dutzend Hefte Muhme Marthas Notizen über das Schwert des Drachentöters zu finden. Was nicht so einfach war. Die engzeiligen Einträge in den Kladden waren allesamt in ihrer altmodischen Handschrift gehalten, und so dauerte es geraume Zeit, bis Laura endlich die sehnsüchtig gesuchten Abschnitte entdeckte.
Schon nach wenigen Zeilen jedoch dämmerte ihr, dass sie eine ungeheuerliche Entdeckung gemacht hatte. Marthas Nachforschungen hatten Dinge zu Tage gefördert, die all das, was Laura bislang über Burg Ravenstein und ihre Geschichte wusste, in einem ganz anderen Licht erscheinen ließen. Mit großen Augen und weit aufgerissenem Mund überflog sie Seite um Seite. Je mehr sie las, desto mehr Zusammenhänge erschlossen sich ihr, von denen sie bislang nicht das Geringste geahnt hatte. Muhme Marthas Erkenntnisse waren so aufregend, dass Laura in sie eintauchte wie in eine fremde faszinierende Welt und darüber alles um sich herum vergaß.
Ein Klirren ließ Laura hochschrecken. Verwirrt blickte sie sich um. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon an diesem Schreibtisch im Museum saß. Allerdings kam sie nicht dazu, weiter darüber nachzusinnen, denn noch im gleichen Augenblick bemerkte sie den brennenden Stofffetzen. Er lag am Fuße des Regals, das den Fenstern am nächsten stand. Die Flammen – dem Geruch nach zu urteilen, war der Lappen mit Petroleum getränkt – loderten hoch auf und leckten nach den Büchern und Pergamenten, die das Regal füllten.
Laura erkannte die Gefahr sofort: Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis die leicht brennbaren Dokumente Feuer fingen. Sie sprang so plötzlich auf, dass der Stuhl polternd umkippte, und hastete quer durch den Raum auf das Regal zu. Noch im Laufen bemerkte sie, dass ein großes Loch in der Scheibe eines Fensters klaffte. Jemand musste sie eingeschlagen haben, um den Brandsatz ins Innere des Museums zu schleudern!
Obwohl Laura sprintete, wie von tausend Teufeln gehetzt, kam sie zu spät. Die Dokumente hatten bereits Feuer gefangen. Die alten Schwarten und Exponate brannten wie Zunder und boten den Flammen reichlich Nahrung. Angefacht von dem Luftzug, der durch das Fenster wehte, verbreiteten sie sich blitzschnell und sprangen auf andere Regale und auf Truhen und Vitrinen über. Schon bald loderten sie in allen Ecken.
Das Drachenmuseum war nicht mehr zu retten. Wie auch? Schließlich waren die verheerenden Folgen des Brandes in den Annalen von Drachenthal nachzulesen. Einmal Geschehenes konnte niemand mehr rückgängig machen. Selbst ein Wächter nicht, der im Zeichen der Dreizehn geboren war. Laura musste einsehen, dass sie keine Chance zum Eingreifen hatte. Sie konnte nur eines tun – sich so schnell wie möglich
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