Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
alles entscheidende Frage noch immer nicht geklärt war: Hatte ihre Reise durch Zeit und Raum sie auch zum gewünschten Tag geführt? Zum 12. Juli 1904? Zumindest deutete die drückende Hitze, die trotz der späten Stunde immer noch in den Räumen lastete, daraufhin, dass es Hochsommer war und Laura zumindest die richtige Jahreszeit erwischt hatte.
Gespannt blickte das Mädchen sich um. Das Mobiliar wirkte altertümlich und entsprach in keiner Weise der Ausstattung des Museums, die Laura von ihrem letzten Besuch noch
bestens in Erinnerung hatte. Die Möbel bestanden vornehmlich aus Holz und Glas und zeugten von ebenso schlichter wie solider Handwerksarbeit. Nirgendwo war auch nur eine Andeutung von Kunststoff zu entdecken. Anstelle der Neonlampen hingen zwei armselige Leuchten mit antiken Glasschirmen von der Decke. Die verrußten Kolben unter den Schirmen, die ebenfalls aus Glas gefertigt waren, ließen vermuten, dass es sich um Gaslampen handelte.
Der Fußboden bestand aus blanken Holzdielen. Sie waren dunkel gestrichen – braun vermutlich, auch wenn Laura das im schummerigen Licht des Mondes, das durch die kleinen Fenster fiel, nicht erkennen konnte. Allerdings hatte sie Wichtigeres zu tun, als sich Gedanken über die Farbe der Dielen zu machen. Rasch huschte sie zur Ausgangstür. Sie war aus massivem Holz getischlert. Laura stellte erleichtert fest, dass sie sich trotz heftigen Rütteins nicht einen Millimeter bewegte. Wunderbar! Ohne Schlüssel würde niemand die Räume des Museums betreten können, während sie sich umsah!
Die einzigen Fenster befanden sich in der Stirnwand des Raumes und waren mit dicken Eisengittern gegen Einbruch geschützt. Als Laura einen Blick nach draußen warf, war sie im ersten Moment doch ein wenig überrascht, wie hoch die Stadtmauern links und rechts vom Museumsgebäude aufragten. Kleine Häuser schmiegten sich ganz eng nebeneinander an die stabile Mauer. Dicht vor den ärmlichen Behausungen lief ein schmales, mit Kopfstein gepflastertes Gässchen entlang, das auf der anderen Seite ebenfalls von schindelgedeckten Holzhäusern gesäumt wurde. Die Gasse war ebenso menschenleer wie der kleine Platz, der sich vor dem Museum öffnete. An seinem jenseitigen Ende erhob sich ein schlichtes Kirchlein, dessen Dach mit Holzschindeln gedeckt war. Im Turm konnte Laura die schemenhaften Umrisse zweier Glocken erkennen. Bei den schwarzen Fäden, die von ihnen herunterhingen, musste es sich um die Zugseile handeln, mit deren Hilfe sie geläutet wurden. Klar: Ein automatisches Läutwerk war damals vermutlich so gut wie unbekannt.
In unmittelbarer Nähe der Kirchentür stand eine einsame Gaslaterne, die ihr funzeliges Licht in die mondhelle Nacht schickte. Es reichte nicht weiter als ein paar Schritte – aber wem hätte es auch leuchten sollen? Den Ratten vielleicht, die schattengleich dicht an den Hausmauern entlangstrichen, um dann blitzschnell in einem der vielen mannshoch aufgeschichteten Holzstapel oder in den windschiefen Vorratsschuppen zu verschwinden? Oder den Katzen, die träge umherschlichen, als hätten sie ihren Hunger längst gestillt und würden nur noch auf den nächsten Tag warten, um diesen zu verdämmern? Der voll beladene Heuwagen jedenfalls, der so dicht vor einem Schuppen stand, als wolle er sich daran anlehnen, benötigte bestimmt kein Licht.
Drachenthal lag im tiefen Schlaf. So weit Laura auch blicken konnte, nirgendwo war eine Menschenseele zu entdecken, und nicht eines der Fenster und keine der Luken war auch nur von mattem Lichtschein erhellt.
Gut so!
Die alten Dielen knarrten, während Laura suchend durch die Reihen der Exponate strich. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Nicht lange, und Laura stand vor dem Regal, dessen Nummer sie sich gut eingeprägt hatte: C3. Wenn die Angaben in der Inventurliste stimmten, mussten die Aufzeichnungen von Muhme Martha im zweiten Fach zu finden sein. Zu ihrer Überraschung aber war es leer.
Eigenartig.
Laura wunderte sich. War der Eintrag falsch? Oder hatte Frau Wegener ihn nur nicht korrekt entziffert? Vielleicht hatte sie sich ja auch schlichtweg verhört? Schließlich war die Handyverbindung so schlecht gewesen, dass sie die Stimme der Museumsleiterin nur ganz verzerrt hatte hören können. Aber wie auch immer: Im zweiten Fach von Regal C3 war nichts zu finden.
Na, super! Das fängt ja gut an!
Als Laura sich auf die Suche nach einer Kerze machte, entdeckte sie in der hintersten Ecke des Raumes einen
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