Laura Leander 04 - Laura und der Fluch der Drachenkönige
zierten. Während Laura darauf zuschritt, bemerkte sie, dass die Drachen sie so vorwurfsvoll anschauten, als habe sie ein Verbrechen begangen.
Eigenartig, dachte sie. Was haben sie nur?
Ein riesiger Drache erhob sich auf dem dicken Sitzpolster des Thronsessels. Ein wahrer Gigant. Obwohl sein Schädel Laura an einen blutgierigen Tyrannosaurus erinnerte, fürchtete sie sich nicht, denn sein warziges Gesicht wies überraschend sanfte Züge auf. Sein Schuppenkleid, das am Kopf und den Tatzen sichtbar wurde, war von einem angenehm warmen Blau. Ein roter Seidenmantel, dessen Kragen und Ärmelaufschläge mit weißem Hermelinpelz besetzt waren, umhüllte den Leib. Und auf dem gehörnten Drachenkopf saß tatsächlich eine goldene Krone. Der Anblick kam Laura so lächerlich vor, dass sie sich nur mit größter Mühe ein Schmunzeln verkneifen konnte.
»Auf die Knie!«, befahl der Krokodildrache. »Verneigt euch vor Wiru-Wuru, König der Drachenkönige und Gebieter des Windes.«
Venik stand wie angewurzelt und starrte den Drachenkönig verängstigt an.
»Tu, was er sagt!«, zischte Laura und boxte ihm in die Rippen, bevor sie auf die Knie fiel und sich tief verneigte. Glücklicherweise gehorchte der Magier sofort.
»Ihr könnt euch wieder erheben.« Wiru-Wurus Stimme hatte einen angenehm sanften Klang. Aus runden Drachenäugen, die fast so groß wie Fußbälle waren, musterte er Laura neugierig. »Wie ist dein Name, Menschenkind?«
»Laura«, antwortete das Mädchen hastig. »Laura Leander.«
»Und du?« Wiru-Wuru blickte den Magier an.
»Ve… Venik.«
»Nun, Laura, nur wenige haben bisher den Mut besessen, es mit dem Labyrinth aufzunehmen. Kaum einer hat die schwere Prüfung bestanden. Dein Anliegen muss ungemein wichtig sein, da du dieses Wagnis auf dich genommen hast.«
»Das stimmt«, antwortete sie mit gebeugtem Haupt.
»Majestät!«, raunte der Krokodildrache vorwurfsvoll.
»Ähm… Das stimmt, Majestät«, wiederholte sie hastig.
Das samtblaue Drachengesicht von Wiru-Wuru nahm einen unergründlichen Ausdruck an. »Ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll, Menschenkind«, sagte er mit einem merkwürdigen Unterton. »Deinen großen Mut – oder deine maßlose Unverfrorenheit.«
»Ähm«, machte Laura überrascht. »Ich verstehe nicht, Majestät.«
»Nein?« Wiru-Wuru schien verwundert und wandte sich an den schmächtigen Horndrachen, der zu seiner Rechten stand und sich ein Monokel ins Auge geklemmt hatte. Er war der Vorsitzende des großen Drachenrates, der die Drachenkönige in allen wichtigen Angelegenheiten beriet. Der Horndrache stellte sich auf die Spitzen seiner Hintertatzen und flüsterte seinem Gebieter etwas ins Ohr.
Erneut sah der Drachenkönig sie an. »Willst du damit sagen, dass du den Fluch nicht kennst, den die Drachenkönige über die Bewohner des Menschensterns verhängt haben?«
»Ja, schon, Maje –«
»Und trotzdem wagst du dich hierher?«, donnerte Wiru-Wuru. »Hältst du dich für besser als deine Mitmenschen und glaubst, dass wir dich verschonen werden?«
»Nein, Majestät.«
»Oder meinst du, dein Anliegen sei von solcher Wichtigkeit, dass es uns zu einer Ausnahme bewegen könnte?«
»Ähm… genau!« Laura fühlte jähe Freude in sich aufsteigen und machte aufgeregt einen Schritt nach vorn. »Genauso ist es, Majestät!«
Wiru-Wuru verzog misstrauisch das Gesicht. Als er die Stirn in Falten legte, neigten sich die Drachenhörner nach vorn. »Lass hören, Menschenkind!«
»Nun… Ähm…« Laura suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. »Ich weiß nicht, was zu dem Zerwürfnis zwischen Eurem Volk und uns Menschen geführt hat. Dennoch glaube ich, dass Euch nicht daran gelegen sein kann, den Dunklen Mächten zum Sieg und dem Ewigen Nichts zur Herrschaft zu verhelfen.«
»Wohl wahr«, bestätigte der Drachenkönig. Sein Ausdruck aber wollte Laura gar nicht gefallen. Nicht eine Spur jener Sanftheit, die sie so beruhigt hatte, lag darin. Im Gegenteil: Wiru-Wuru ähnelte immer mehr einem mordgierigen Saurier. Seine Stimme klang allerdings immer noch beherrscht. »Wir wollen weder das Böse noch das Gute siegen sehen«, erklärte er. »Niemand hat das Recht, sich zum Herrscher über andere aufzuschwingen – und schon gar nicht über die unbezähmbaren Kräfte der Natur. Deshalb sehnen wir Drachen uns auch nach jener Zeit zurück, als noch nicht unterschieden wurde zwischen Gut und Böse. Weil sich alle Kreaturen ohne jede Ausnahme dem natürlichen Lauf der Dinge
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