Laura Leander 05 - Laura und der Ring der Feuerschlange
Grau getaucht. Das Mädchen konnte weder einen Himmel noch einen Horizont erkennen, in der Ferne schien alles im Nichts zu enden. Dann erkannte Laura, dass sie sich auf einer Art Ebene befand, die von Kieselsteinen und Schotter bedeckt war. Ein eisiger Wind fegte darüber hinweg, dessen Heulen in den Ohren schmerzte. Undeutliche Schemen tauchten vor ihr auf, die ohne Ziel herumzuirren schienen. Laura hätte nicht sagen können, worum es sich dabei handelte. Um menschenähnliche Wesen? Um tanzende Schatten? Oder waren es am Ende nur Trugbilder, die durch eine Sinnestäuschung hervorgerufen wurden? Die Kälte, die ihr durch Mark und Bein ging und sie trotz ihres dicken Steppanoraks erbärmlich frieren ließ, beruhte bestimmt nicht auf Einbildung!
Die Schemen gaben seltsame Geräusche von sich, die wie eine Mischung aus Klagelauten und unheimlichem Rauschen klangen, und nahmen keinerlei Notiz von Laura.
Mit einem Mal erblickte sie einen fahlen Lichtschein in der Ferne. Laura fühlte sich magisch angezogen von dem gelben Schimmern. Sie stolperte darauf zu. Der Untergrund war seltsam schwammig und bot keinerlei Halt, sodass sie nur schwer vorankam. Bei jedem Schritt schien der Boden unter ihren Füßen nachzugeben – und dennoch sank sie, sehr zu ihrem eigenen Erstaunen, nicht einen Millimeter ein. Jede Bewegung war unendlich mühsam und kostete unsägliche Kraft. Laura wusste nicht mehr, wie lange sie sich schon quälte, als sich in dem grauen Nichts plötzlich eine Öffnung auftat. Darin schimmerte das fahle Gelb, das Laura unwiderstehlich anzog. Immer weiter folgte sie dem unwirklichen Leuchten, bis sie eine Art Höhle erreichte. Der Raum war erfüllt von gelblichem Licht, dessen Quelle nicht zu erkennen war. Inmitten des unwirklichen Scheins standen zwei Gestalten. Sie waren ähnlich konturlos und schemenhaft wie die Schatten auf der Geröllebene – und dennoch erkannte Laura sie sofort:
Es waren ihre Mutter und die Feuerschlange!
Endlich!
Der Anblick, den Anna bot, war Mitleid erregend. Sie war nur noch ein blasses, fast durchscheinendes Abbild ihrer früheren Person. Oder lag das nur an ihrem traurigen Blick? Laura las unsägliches Leid in Annas verhärmtem Gesicht, und doch glimmte in den Augen der Mutter noch ein Funken Hoffnung.
Auch die Feuerschlange war an diesem Ort nur ein Schemen des Furcht erregenden Wesens, das Laura im Schlafzimmer ihrer Großmutter erblickt hatte. Dennoch spürte Laura Ryganis abgrundtief böse Aura. Ein scharfer Schmerz, spitz wie eine Lanze und heiß wie Lava, durchbohrte ihr Herz, während die Angst ihren Brustkorb einschnürte. Laura war wie gelähmt. Obwohl Anna und Rygani nur wenige Schritte von ihr entfernt standen, schienen die beiden sie nicht wahrzunehmen. Trotz der Nähe drangen die Worte, welche die Feuerschlange ihrer Mutter entgegenzischte, wie aus weiter Ferne zu dem Mädchen.
»Sssshhh«, züngelte Rygani. »Hoffst du immer noch darauf, dass dein Balg dich zurück in die Welt der Menschen holt? Du Närrin! Warum bist du nur so töricht? Du solltest längst wissen, dass deine Lage aussichtslos ist.«
»Nur wer aufgibt, hat schon verloren«, gab Anna mit schwacher, aber ruhiger Stimme zurück. »Mit der Kraft des Lichts kann alles gelingen.«
»Sssshhh! Sprüche – nichts als alberne Sprüche!«, herrschte die Feuerschlange sie an. »Hast du schon vergessen? In meinem Reich herrschen andere Gesetze als auf Aventerra und auf dem Menschenstern. Elysion hat hier ebenso wenig zu bestimmen wie Borboron. Hier ist alles meinem Willen unterworfen.«
»Nicht ganz, Rygani!«, entgegnete die Mutter furchtlos. »Taranos ist dein Gebieter – und selbst er muss sich den uralten Gesetzen beugen. Genau wie du, Rygani!«
»Ach, was!« Rygani machte eine unwirsche Geste. Dann verwandelte sie sich, und die drei Schlangenhäupter erschienen, die Laura schon einmal gesehen hatte. »Seit die Geister, die den Lauf der Welten bestimmen, mich in dieses finstere Reich verbannt haben, ist es noch keinem meiner Opfer gelungen, wieder auf den Menschenstern zurückzukehren. Und auch du hoffst vergeblich, denn diese Göre, auf die du so sehr vertraust, wird an ihrer Aufgabe scheitern.«
»Du irrst dich, Rygani. Laura wird mich befreien. Das fühle ich ganz genau.« Anna legte die Schattenhand auf ihre Brust. »Aber das kannst du natürlich nicht nachempfinden. Weil dir das Gefühl der Liebe fremd ist!«
»Sssshhh!!!«, zischte die Feuerschlange voller Wut. »Nur törichte Wesen wie ihr
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