Laura Leander 05 - Laura und der Ring der Feuerschlange
wurde.«
»Was?« Lukas runzelte die Stirn und blickte den Vater über den Rand seiner großen Hornbrille an. »Erst drei Wochen später? Warum hat das denn so lange gedauert?«
»Keine Ahnung«, antwortete Marius sichtlich ungehalten. »Der Nebelsee ist tief und besitzt tückische Strömungen. Mamas Käfer wird deshalb irgendwie abgetrieben sein.«
»Irgendwie – soso«, gab Lukas mit spöttischem Unterton zurück. »Wurde das auch überprüft? Und ist die KTU zu dem gleichen Ergebnis gekommen?«
»KTU?« Laura blickte ihren Bruder erstaunt an. »Was soll das denn sein?«
»Die Abkürzung für ›kriminaltechnische Untersuchung‹, du Spar-Kiu!«, antwortete der Bruder von oben herab.
Laura hatte sich längst an dieses Schimpfwort gewöhnt, das Lukas für seiner Meinung nach geistig Minderbemittelte erfunden hatte, und so störte sie sich nicht weiter daran.
Der Junge wandte sich wieder an den Vater. »Also – hat die KTU deine Vermutung bestätigt?«
»Jetzt reicht’s mir aber!« Marius war laut geworden. »Die Zeit damals war schwer genug, und ich war heilfroh, als wir endlich einigermaßen darüber hinweg waren. Ich werde deshalb nicht zulassen, dass ihr in der Vergangenheit herumwühlt – unter keinen Umständen!«
Laura sah ihren Bruder betreten an, und auch Lukas machte ein betroffenes Gesicht.
»Versteht mich doch«, fuhr der Vater in versöhnlicherem Ton fort, »ich vermisse eure Mutter genauso sehr wie ihr. Trotzdem müssen wir uns endlich mit ihrem Tod abfinden. Das Sterben gehört ebenso zu unserer Existenz wie die Geburt. Ohne den Tod gäbe es kein Leben. Ohne Dunkel würde es kein Licht geben, und auch das Gute wird erst möglich durch das Böse. Ich dachte, ihr hättet das längst verstanden.« Eindringlich blickte Marius Leander seine Tochter an. »Ganz besonders du, Laura.«
»Ja«, antwortete das Mädchen mit rauer Stimme. »Das habe ich auch, Papa. Aber…« Laura zögerte einen Moment und überlegte, ob sie sich dem Vater anvertrauen sollte. Dann fasste sie sich ein Herz: »Es gibt etwas, das du noch nicht weißt. Als ich vorhin wieder an den Unfall gedacht habe, ist mir plötzlich wieder eingefallen, was ich kurz davor im See entdeckt hatte.«
»Was denn?« Marius musterte seine Tochter überrascht.
Auch Lukas blickte wie gebannt auf seine Schwester.
»Als ich auf das Wasser blickte, da ragten mitten aus dem See –« Ein plötzliches Geräusch hinter ihrem Rücken ließ Laura abbrechen, und mit einem Mal hatte sie das sichere Gefühl, dass sie beobachtet wurden. Langsam wandte das Mädchen sich um und spähte prüfend in die Runde.
Doch da war niemand.
Still und friedlich lag der weitläufige Friedhof da. Keine Menschenseele war zu sehen. Nur eine mächtige Statue aus weißem Marmor stand im Schatten einer großen Eibe, deren reife Beeren rote Farbtupfer auf das dunkelgrüne Nadelkleid setzten.
Es war ein Engel.
Seine imposanten Schwingen glichen den Flügeln eines Schwans. Sein Gesicht war Laura zugewandt, sodass er sie anzusehen schien. Die steinernen Augen des geflügelten Wesens wirkten überraschend lebendig, mild und verständnisvoll. Mit einem Mal stieg ein Bild aus der Tiefe von Lauras Bewusstsein empor: Ein großes, strahlend helles Licht schwebte über eine goldglänzende Wasserfläche auf sie zu. Die Erinnerung dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Als Laura sich wieder ihrem Vater und Lukas zuwandte, stand ihr die Verwunderung noch immer ins Gesicht geschrieben.
»Wolltest du uns nicht was erzählen?«, fragte Marius.
»Ja…«, entgegnete Laura und versuchte sich ihre Verwirrung angesichts des geheimnisvollen Erinnerungsblitzes nicht anmerken zu lassen. »Also damals, kurz vor dem Unfall –«
»Ja?« Lukas schien seine brennende Neugierde kaum mehr zügeln zu können.
»– da sah ich mitten im Wasser –«
»Jetzt erzähl schon!«, drängte auch Marius.
»– zwei große Köpfe aufragen. Drachenköpfe, um genau zu sein. Und wenn mich nicht alles täuscht, dann gehörten sie Gurgulius dem Allesverschlinger!«
Kapitel 5 Ein
seltsames
Jubiläum
er große Speisesaal von Ravenstein war nur zur Hälfte gefüllt. An den Tischen der Schüler und Schülerinnen klafften große Lücken. Nur der Lehrertisch, der auf einem kleinen Holzpodest an der Stirnseite des ehemaligen Rittersaals stand, war bis zum letzten Platz besetzt. Seit Lauras Vater aus Aventerra zurückgekehrt war, war das Kollegium wieder vollzählig. Direktor Morgenstern hatte zum Glück
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