Laura Leander 05 - Laura und der Ring der Feuerschlange
waren ihre Zweifel deutlich anzusehen. Sie wies auf die Figur am Arbeitstisch, die sich über ein offenes Buch beugte. »Dann soll das wohl dieser Faust sein?«
»Ganz richtig.« Dr. Wagner stellte sich neben die Puppe, die in einen purpurnen Samtumhang gekleidet war, der bis auf den Boden reichte. Auf ihrem Kopf ruhte eine samtene Kappe, die ebenso wie der Mantel mit geheimnisvollen Zeichen bestickt war. Das rechte Ohr von Doktor Faustus zierte ein großer Ohrring, und auch an seinen Fingern steckten Ringe. »Wir haben die Figur nach einem der wenigen erhaltenen Bildnisse von Johannes Faust gestaltet. Seine Gesichtszüge und seine Kleidung entsprechen bis ins Detail diesem Porträt«, erklärte der Bibliothekar. »Das war sehr teuer, aber wie bereits erwähnt, hatten wir zum Glück einen Förderer, der alles großzügig finanziert hat.« Er lächelte in Gedanken daran. »Die Gerätschaften, die vor dem Meister auf dem Tisch stehen, sind Destillierapparate«, erklärte Dr. Wagner weiter, »denn die Alchimisten haben nahezu alle Ausgangsstoffe für ihre Experimente erst einmal gründlich verkocht.«
»Und wozu brauchten sie diese Karten?«, fragte Laura mit Blick auf die altertümlichen Zeichnungen verschiedener Länder und Erdteile, Sterne und anderer Himmelskörper, die an den Wänden hingen.
»Viele Alchimisten arbeiteten auch als Astronomen und Sterndeuter. Meister Faust machte da keine Ausnahme: Seine Horoskope waren begehrt und sollen erstaunlich zutreffend gewesen sein.«
»Wer’s glaubt«, murmelte Laura und zuckte im selben Moment vor Entsetzen zusammen: Auf dem Fenstersims saß die schwarze Katze! Schon glaubte Laura ein wütendes Fauchen zu vernehmen, als sie erkannte, dass es sich um ein ausgestopftes Tier handelte.
Brr! Sie sah schon Gespenster!
Laura atmete erleichtert auf, doch ihre Beine schienen auf einmal aus Wackelpudding zu bestehen.
Dr. Wagner blickte auf die Uhr. »Tut mir leid«, sagte er. »Wir müssen wieder zurück. Die Bibliothek schließt in ein paar Minuten. Aber wenn ihr euch die Werkstatt noch einmal genauer ansehen wollt, seid ihr dazu jederzeit herzlich eingeladen.«
Als sie den Raum verließen, fiel Laura noch etwas ein. »Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie beinahe Ihren Job verloren hätten, weil Sie unserer Mutter ein bestimmtes Schriftstück zur Verfügung gestellt haben. Warum eigentlich?«
Der Bibliothekar schloss die schwere Holztür zur Werkstatt ab. »Wie ich schon erwähnt habe, hat Doktor Faust nur wenige Dokumente hinterlassen. Aus diesem Grund besitzt jedes von ihnen einen großen Wert. Sie werden für gewöhnlich nur ausgesuchten Wissenschaftlern und Experten zur Verfügung gestellt. Studenten oder Diplomanden wie deine Mutter müssen sich eigentlich mit Abschriften oder Faksimiles begnügen.«
»Klaromaro«, sagte Lukas mit der Miene eines Experten. »Ein Faksimile ist eine getreue Nachbildung des Dokuments. Daraus ist der Inhalt genauso gut zu ersehen wie aus dem Original.«
»Ganz recht, mein Junge.« Dr. Wagner nickte anerkennend und schlug den Weg zurück zum Lesesaal ein. »Aber wie gesagt – eure Mutter war mir sehr sympathisch. Um ihr eine Freude zu machen, habe ich ihr also an diesem Tag die Originaldokumente überlassen und damit leider eindeutig gegen unsere strengen Vorschriften verstoßen. Ich habe ihr voll und ganz vertraut, denn sie war die Zuverlässigkeit in Person. Deshalb verstehe ich bis heute nicht, warum Anna das wertvolle Dokument nicht zu mir zurückgebracht hat, bevor sie die Bibliothek verließ.«
Ich schon!, dachte Laura. Aber Dr. Wagner konnte ja nicht ahnen, dass Anna einen falschen Notruf erhalten hatte, der sie so sehr in Panik versetzte, dass sie so schnell wie möglich zum Krankenhaus fahren wollte.
»Zu allem Überfluss hat eine Seite gefehlt, als ich die Blätter an ihrem Arbeitsplatz einsammelte.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Laura erstaunt. »Meine Mutter hat das Dokument bestimmt nicht mitgenommen!«
»Natürlich nicht. Allerdings kam damals leider genau dieser Verdacht auf. Zum Glück hat sich die Sache dann schnell aufgeklärt. Die fehlende Seite wurde auf einem Kopierer entdeckt.« Dr. Wagner schüttelte missbilligend den Kopf. »Dabei hätte Anna doch wissen müssen, dass das Kopieren von Originaldokumenten strengstens verboten ist!«
»Mir leuchtet einfach nicht ein, warum Mama diese Seite kopieren wollte. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, konnte sie doch jederzeit auf die Abschriften oder Kopien der
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