Laura Leander 05 - Laura und der Ring der Feuerschlange
Damals, als Lena feststellte, dass sie mit Anna schwanger war, soll sie zu ihrem Mann etwas sehr Merkwürdiges gesagt haben: Er solle sich nicht wundern, wenn ihre Kinder und Kindeskinder sich später einmal von ihren Altersgenossen unterscheiden und über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügen würden. Und auf Michaels Nachfrage hat sie dann erklärt, dass ihre Nachkommen möglicherweise Dinge sehen könnten, die gewöhnlichen Menschen verborgen bleiben.«
Lukas runzelte die Stirn. »Das würde erklären, warum ich diese merkwürdigen Schatten sehen kann.«
»Ja, das würde es«, bestätigte Marius. »Deshalb bin ich fast sicher, dass Oma Lena früher auf Aventerra gelebt hat.«
Bei diesen Worten musste Laura an ihre Erlebnisse im Reich der Mythen denken. In einem merkwürdigen Traum hatte sie geglaubt, ihre Mutter zu sehen, was aber von Salima, der Kammerzofe im Güldenländer Schloss, angezweifelt worden war. Diese hatte nach Lauras Beschreibung vermutet, dass es sich bei der Traumerscheinung um die Güldenländer Königstochter Analina gehandelt habe. Schon damals hatte Laura kurzzeitig den Verdacht gehabt, dass Analina und ihre Oma Lena ein und dieselbe Person sein könnten. Ein Verdacht, der durch die Erzählungen des unerschrockenen Riaanu noch verstärkt worden war. Riaanu, der sich bei Sonnenuntergang stets in den Rattenmenschen Aurian verwandelte, hatte der Königstochter viele Jahre lang treu gedient, bis diese angeblich den Freitod gewählt hatte. Der junge Aventerraner, der Analina so gut gekannt hatte wie kein Zweiter, zweifelte stark daran, dass seine Herrin sich das Leben genommen hatte. Die Erklärungen von Marius Leander bestärkten nun auch Lauras Verdacht. »Einen Beweis für Lenas Herkunft hast du aber nicht entdeckt?«, fragte sie mit vor Aufregung heftig pochendem Herzen.
»Das nicht«, erwiderte Marius. »Aber ich habe damals auch nicht danach gesucht, weil mir die Sache nicht weiter wichtig zu sein schien.« Er überlegte einen Moment lang. »Warum besucht ihr nicht einfach eure Großtante Eva?«, schlug er schließlich vor. »Es gibt niemanden, der euch mehr über Oma Lena erzählen könnte als sie. Vielleicht kann sie euch weiterhelfen.«
Albin Ellerking hatte seine Nachtalbenohren spitzen müssen, um die Unterhaltung durch den Kamin verfolgen zu können. Verdammt!, dachte er. Das hat uns gerade noch gefehlt! Er ballte die klobige Hand zur Faust und schlug damit wütend gegen das rohe Mauerwerk. Dass dieses dumme Gör auch niemals Ruhe geben konnte! Warum musste es in Dingen herumschnüffeln, über die längst Gras gewachsen war? Nicht auszudenken, wenn nach all den Jahren doch noch herauskam, was damals geschehen war!
Der Gärtner schloss die rostige Kaminkehrerklappe, die er stets öffnete, um die Unterhaltungen im Zimmer von Lukas Leander zu belauschen, und verließ eilig den Speicher. Er musste dringend den Großmeister informieren. Der sollte entscheiden, was man gegen diese beiden neugierigen Bälger unternahm!
Kapitel 14 Ein
mysteriöses Erbe
m nächsten Nachmittag, gleich nach Unterrichtsschluss, radelten Laura und Lukas nach Drachenthal. Das Haus von Eva Luzius lag etwas abgelegen am Ortsrand, nicht weit entfernt von der Freilichtbühne und der Burgruine. Es war ein altes Bauernhaus. Ein hölzerner Balkon, geschmückt mit Hängegeranien und Petunien, zierte fast das gesamte Obergeschoss. Die Nebengebäude des Gehöfts waren bereits vor langer Zeit abgerissen worden und hatten einem großen Garten Platz gemacht, in dem nicht nur Blumen und andere Zierpflanzen wuchsen, sondern auch Gemüse, Beerensträucher und Obstbäume. Anstelle eines Rasens gab es eine Wiese, in der hier und da das kräftige Lila der Herbstzeitlosen leuchtete. Auch Astern, Margeriten, Anemonen und Dahlien standen noch in voller Blüte. Dabei war es bereits Ende Oktober, wie das kräftige Rot des Ahornbaums zeigte.
Als Laura und Lukas eintrafen, stand Eva Luzius gerade bei den Kletterrosen, die an einem Holzgerüst an der Hauswand emporrankten. Die kleine, zierliche Frau, die das längst ergraute Haar zu einem Knoten geschlungen hatte, war Mitte siebzig. Obwohl seit dem letzten Besuch von Laura und Lukas schon etliche Jahre vergangen waren, begrüßte Eva sie sehr herzlich. »Wie schön, euch endlich einmal wiederzusehen!«, rief sie erfreut und schloss die Geschwister in die Arme.
»Wir freuen uns auch«, antwortete Laura verlegen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie sich so lange Zeit nicht mehr
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