Laura Leander 06 - Laura und das Labyrinth des Lichts
kniff die Augen zusammen und bedachte ihn mit einem schrägen Blick.
»Dieses Mädchen, Laura«, sagte der Nachtalb zögernd, als fürchtete er eine Rüge. »Sie hat ihre Fähigkeiten doch zurückgegeben und alle Erinnerungen daran verloren, nicht wahr?«
»Ja, und?«
»Warum überwachen wir sie dann? Das Balg kann uns schließlich nicht mehr gefährlich werden – oder doch?«
Kapitel 5 Die
Botschaft
des Orakels
m Thronsaal von Hellunyat war es so leise, dass man das Knistern des Kaminfeuers hörte. Auch die knirschenden Schritte der Wachen auf den Mauern waren zu vernehmen. Selbst das Pfeifen der Nachtvögel im weit entfernten Raunewald, kaum lauter als ein Elfenhauch, klang durch die Stille.
Elysion, Paravain und Morwena hatten ihre Stühle vor Alienor aufgereiht, die blass an der Tafel Platz genommen hatte. »Sprich weiter«, forderte die Heilerin das Mädchen mit sanfter Stimme auf. »Was hast du auf dieser Lichtung noch gesehen?«
»Einen … einen kleinen See«, fuhr Alienor zögerlich fort, »und darauf spiegelten sich die beiden vollen Monde von Aventerra.«
Morwena blickte zu Elysion. »Damit kann nur die kommende Mittsommernacht gemeint sein. Dann werden sowohl der Goldmond als auch der Menschenstern zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder gleichzeitig im vollen Licht erstrahlen.«
Der greise Herrscher lächelte zustimmend. »Genauso sehe ich das auch, Morwena. Wir alle sollten uns freuen, dass wir diese überaus seltene Konstellation der Gestirne miterleben dürfen. Zumal sie von alters her mit Ereignissen einhergeht, die den Lauf des Schicksals entscheidend beeinflussen.« Damit musterte er das Mädchen, das seinen Worten mit bangem Ausdruck gelauscht hatte. »Und was ist danach geschehen, Alienor?«
Die Elevin sah zur Decke, als würde das ihre Erinnerung beflügeln. Bedächtig sprach sie weiter: »Daraufhin habe ich ein Einhorn gesehen. Es war wunderschön und trug ein mächtiges Horn auf der Stirn, das wie Perlmutt schimmerte.«
Ein beglücktes Lächeln huschte über das Gesicht der Heilerin, und auch der Ritter konnte sich dem Zauber des Augenblicks nicht entziehen. Er griff nach Morwenas Hand und drückte sie fest.
»Ich glaube, es war eine Stute«, fuhr Alienor fort.
Der Hüter des Lichts straffte sich. »Eine Stute? Warum?«
»Weil dicht neben ihr ein Füllen stand. Ich hatte den Eindruck, als wäre es eben erst geboren worden.« Das Mädchen schloss die Augen, um sich die Orakelbilder besser ins Gedächtnis zu rufen. »Sein Fell glänzte feucht im Licht der Monde. Außerdem bewegte es sich staksend, und die Beine des Fohlens knickten mehrere Male ein, als es zum Bauch der Stute drängte.«
»Das kann nur eines bedeuten!« Freudestrahlend wandte sich die Heilerin an die beiden Männer. »Silvana, die Einhornkönigin, wird schon bald ein Füllen gebären, wie Alienor es in der Vision gesehen hat. Und dieses Füllen ist eine neue Königin, die in der Mittsommernacht Silvanas Nachfolge antreten wird – darauf weisen die beiden vollen Monde in der Vision hin. Oder seid Ihr anderer Meinung, Gebieter?«
»Nein, nein«, antwortete Elysion abwesend und blickte versonnen vor sich hin. »Du hast bestimmt Recht, Morwena. Die Einhörner werden eine neue Königin bekommen, womit ihr Fortbestand auf viele Generationen hin gesichert ist.«
»Genau, Herr!« Die Heilerin lachte vor Freude auf. »Und Beliaal, dieser schreckliche Dämon, wird wieder einmal das Nachsehen haben. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!« Sie klatschte in die Hände.
Nur einen Augenblick später streckte eine dralle Bedienstete mit Apfelbäckchengesicht den Kopf zur Tür herein. »Ja, Herrin?«
»Bring uns Wein, damit wir anstoßen können.« Glücklich wandte sie sich an ihre Elevin. »Und was möchtest du trinken, Alienor?«
»Einen … Königsfruchtsaft vielleicht?«
»Aber gern!« Morwena schenkte der Dienerin ein fröhliches Lachen. »Du hast es gehört, Mareen. Bitte beeile dich. Ein solch freudiges Ereignis gibt es schließlich nicht alle Tage zu feiern.«
Während die Bedienstete davoneilte, sah der Hüter des Lichts das Mädchen eindringlich an. »War das alles, Alienor? Oder hast du noch etwas gesehen?«
Die Elevin antwortete nicht sofort. Seit der Orakelhöhle sann sie darüber nach, ob sie das Furcht erregende Bild offenbaren sollte, das ihr erschienen war, kurz bevor ihr die Sinne schwanden: eine entsetzliche Dämonenfratze.
Das konnte nur Unheil bedeuten!
Der Dämon war nur einen Wimpernschlag lang
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