Laura Leander 06 - Laura und das Labyrinth des Lichts
nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich das Gekeife der Mathelehrerin geduldig anzuhören. Schließlich hatte die Taxus Grund zur Beschwerde und schilderte Lauras Vergehen in den dunkelsten Farben.
Während Pinkys rund zehnminütiger Tirade versuchte der Direktor möglichst gelassen zu bleiben. Die Frau redete sich immer weiter in Rage, und Morgenstern wollte sie wohl nicht durch eine missverständliche Geste noch mehr reizen. Mit stoischer Miene wartete er ab, bis Pinky ihre Litanei endlich beendet hatte.
Danach herrschte Stille in dem geräumigen Zimmer, das den Direktoren von Ravenstein schon seit 1888 als Büro diente. Als würde der Professor die Anklage der Lehrerin in Gedanken rekapitulieren, schweifte sein Blick versonnen durch den Raum. Nachdenklich betrachtete er die hohen Bücherregale, welche zwei der Bürowände in Beschlag nahmen, dann die Arbeitsplatte seines imposanten Eichenschreibtisches, und schließlich schielte er zu den beiden Fenstern, die sich auf den Burghof hin öffneten. Das Geschrei der Internatszöglinge wehte herein, vermischt mit dem aufgeregten Gezeter von Spatzen, die offensichtlich befürchteten, die Schüler könnten ihnen die Würmer zwischen den Pflanzen in den Rabatten streitig machen.
Laura überlegte, was Morgenstern damit wohl bezweckte: Wollte er Zeit gewinnen? Oder wollte er die Taxus ins Leere laufen lassen? Womöglich versuchte er, sie aus der Fassung zu bringen, damit sie sich zu einer unüberlegten Äußerung hinreißen ließ. Doch was auch immer er damit beabsichtigen mochte, Pinky ließ sich nicht aus der Reserve locken.
Im Gegenteil!
»Ich kann abssolut versstehen, dasss Ssie ssprachloss sind, verehrter Herr Professsor«, säuselte sie so süßlich, dass Laura davon übel wurde. »Ich bin genausso enttäuscht wie Ssie. Auch ich hätte ess niemalss für möglich gehalten, dasss Laura ein ssolch niederträchtigess Verhalten an den Tag legt. Dabei haben wir unss in den vergangenen Monaten doch sso viel Mühe mit ihr gegeben und größstes Versständniss für ihre Probleme gezseigt – nicht wahr, Herr Professsor?«
»Nun«, hob Aurelius Morgenstern an, musste sich aber erst räuspern, um den Frosch in seiner Kehle loszuwerden. »Sie haben natürlich Recht, Frau Taxus …«
»Wie wahr, wie wahr!«, kommentierte diese unter heftigem Nicken.
»… und deshalb plädiere ich dafür, dass wir den bewährten Kurs beibehalten«, fuhr der Direktor unbeirrt fort. »Ich möchte Lauras Verhalten keinesfalls billigen. Und dennoch, Frau Taxus, dürfte Ihnen der Grund für ihre Probleme genauso gut bekannt sein wie mir.«
Hä? Laura zog eine Grimasse und starrte den Professor verwundert an. Morgenstern sprach in Rätseln!
Auch Pinky Taxus schien ratlos. Der höhnische Glanz in ihren Augen deutete allerdings eher darauf hin, dass sie den Direktor sehr wohl verstand und sich nur unwissend stellte. »Woher denn, verehrter Herr Professsor?«, flötete sie scheinbar arglos, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Mundwinkel hämisch zuckten. »Ich habe nicht die geringsste Ahnung, wass Ssie damit andeuten wollen.«
Aurelius Morgenstern schwieg und bedachte Pinky Taxus mit einem abschätzigen Blick. Sie und ihre dunklen Komplizen würden niemals zugeben, dass sie sehr wohl darüber informiert waren, mit welchem Opfer Laura ihre Mutter gerettet hatte. Auch auf Mitgefühl durfte er kaum hoffen. »Schon gut.« Die Enttäuschung in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Wir reden offensichtlich aneinander vorbei.«
Stimmt!, dachte Laura bei sich. Sie zumindest wusste nicht, wovon er da sprach.
»Wie Ssie meinen.« Die Taxus gab sich keinerlei Mühe, ihre Häme zu verbergen. »Ich verlange, dasss Laura gemäßs unsserer Schulordnung besstraft wird. Wenn ich recht informiert bin, ssieht die für einen Fall wie den vorliegenden den Aussschlusss dess betreffenden Schülerss auss dem Internat vor!«
Aurelius Morgenstern verdrehte die Augen und ließ ein missmutiges Seufzen hören. »Das ist mir sehr wohl bekannt, Frau Taxus. Aber nur im allerschlimmsten Fall und wenn es sich um eine mehrfache Wiederholung handelt!«
Pinky machte eine verächtliche Handbewegung. »Na, und?«, zischte sie.
Der Direktor sah sie eindringlich an. Großer Ernst sprach aus seinen wässrig blauen Augen. »Unsere Schulordnung fordert ausdrücklich, dass auch mildernde Umstände für das ungebührliche Verhalten des Schülers zu berücksichtigen sind. Und wenn man bedenkt,
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