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Laura, Leo, Luca und ich

Laura, Leo, Luca und ich

Titel: Laura, Leo, Luca und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Maiwald
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einem Typen sitzen wollen? Eben. Niemand würde das.
    Mein Vater hat 25   Jahre lang als Küchenchef gearbeitet, und er hat mir zwei oder drei Dinge über das Essen und Trinken beigebracht. Unter anderem das: Beim Essen |127| sollte man sich Gedanken über das Essen machen. Und nicht darüber, wie man den Kellner oder den Nebentisch beeindruckt. Denn machen wir uns nichts vor: Nur ein kleiner Prozentsatz von uns kann einen Pinot Grigio von einem Pinot Bianco unterscheiden. Und Paula Bosch, Sommelière des Münchner Restaurants Tantris (wo in den Siebzigerjahren die kulinarische Aufholjagd begann), formulierte es einmal so: Kaum ein Mensch unter 40 kann den Unterschied zwischen einem 5 0-Euro -Wein und einem 20 0-Euro -Wein erkennen; aus dem einfachen Grund, weil man schon sein halbes Leben teuren Wein getrunken haben muss, um die Nuancen zu erschmecken, die diese Preiskategorien unterscheiden.
    Die besten Restaurants in Grado sehen nach nichts aus, haben rot-weiß karierte Papiertischdecken und einen laufenden Fernseher in der Ecke. (Lustig: Die Plätze vor dem Fernseher sind sogar am begehrtesten. Italiener mögen eben den Trubel.) Hunde sind nicht geduldet, Kinder schon. Rätselhafterweise ist das in Deutschland zumeist umgekehrt. Die Gäste verkleiden sich nicht wie in Deutschland, sondern kommen in Alltagskleidung. Wobei man konzedieren muss, dass Italiener in Alltagskleidung oft immer noch besser aussehen als der Rest der Welt im Anzug. Man lässt sich meist nicht einmal die Speisekarte bringen, sondern hört sich an, was die Küche empfiehlt. Die umständlichen Rituale besserer Restaurants vor allem in Amerika (»Bitte warten Sie, bis Sie an Ihren Tisch geführt werden«) sind hier unbekannt. Überhaupt muss |128| in den USA flott Essengehen ein echter Stress sein: Mein Kumpel Igor (er heißt wirklich so) ist 1,92   Meter groß und hat die Figur einer Zapfsäule. Sein Händedruck kann töten, dennoch benutzt er seine Finger, um die vermutlich bezauberndsten, zartesten, blättrigsten Süßspeisen zu kreieren, die sich in ganz Friaul naschen lassen. 1 Erst vor kurzem kehrte er aus den USA zurück, wo er sich ein Jahr lang in den besten amerikanischen Restaurants weitergebildet hatte. Und dort gibt es, berichtete er bei seiner Rückkehr, fünf
gironi
pro Tisch: In Spitzenrestaurants wird also jeder Tisch am Abend fünfmal besetzt. Was bedeutet: Pro Tafelgesellschaft bleibt nicht einmal eine volle Stunde. Das sollte man mal in Italien durchzusetzen versuchen, wo die Gäste so ab acht Uhr eintrudeln und oft nur unter Androhung von roher Gewalt (hier kommt wieder Igor ins Spiel) bis Mitternacht das Feld räumen.
    In Nationen, die aufholen müssen, haben sich viel kuriose Attitüden eingeschlichen. Über die Hochgastronomie zu spotten ist zwar genauso originell wie über die Bahn, die Post oder den Euro zu schimpfen; ich gebe hiermit zu Protokoll, dass ich in sehr teuren Restaurants auch schon sehr gut gegessen habe, aber einiges stößt mir doch immer wieder sauer auf. Warum, zum Beispiel, wird neuerdings alles gestapelt? Der Teller ist praktisch leer bis auf ein paar Tropfen Aceto Balsamico, aber in der Mitte stapeln sich Fisch |129| oder Fleisch dezimeterhoch empor, aufgeschichtet auf den Beilagen wie Kartoffeln, Broccoli und Ingwerscheiben. Ja, ich habe begriffen, dass man nichts essen sollte, was über den Tellerrand lappt, aber diese Reduzierung in der Mitte finde ich befremdlich. Was soll mit dem Weißraum drum herum passieren? Darf man den nicht schmutzig machen? Wird der vermietet? Raum für Notizen?
    Dazu kommt, dass nichts mehr so aussieht wie einst. Früher konnte man sich sicher sein, welcher Teller für einen selbst bestimmt war, wenn der Kellner kam, aber heute sehen die Lachsfilets aus wie Lammfleisch oder Taubenbrüstchen. Wer beispielsweise ein Steak bestellt, bekommt heute etwas Kleines, Vorgeschnittenes und Aufgestapeltes. Als Steak ist das nicht mehr zu erkennen. Und noch etwas: Ja, wir haben verstanden, dass ihr Spitzenköche aus allem, wirklich allem, ein Sorbet zaubern könnt. Nun lasst es bitte gut sein.
    Eine erstaunliche Beobachtung: In italienischen Spitzenrestaurants, die weitgehend von Deutschen und Amerikanern frequentiert werden (etwa in Verona oder Venedig) können die Stapel gar nicht hoch genug geschichtet, die Speisen gar nicht entfremdet genug zubereitet sein. Hauptgerichte sind auf der Kartemindestens dreizeilig. Italienische Spitzenrestaurants in der touristischen Diaspora,

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