Laura - Venezianisches Maskenspiel
hatte einfach aus dem Haus müssen, ein bisschen herumlaufen, bevor die Dämmerung hereinbrach. Der Besuch in der Bibliothek war schließlich nur ein Vorwand gewesen, um alleine zu sein und in Ruhe nachdenken zu können.
Trotz der Kälte hatte sie sich einige Stunden davor in der kleinen Loggia aufgehalten, die Domenicos Vater oben auf dem Dach hatte ausbauen lassen. Im Sommer war es dort sehr schön. Anfangs hatte sie die starke Sommersonne dazu benutzt, ihr Haar zu bleichen, so wie es schon Generationen von Venezianerinnen vor ihr getan hatten. Dann jedoch hatte sie eingesehen, dass ihr Haar eben zu dunkel war, um dieses sinnliche Blond zu erlangen, hatte sich unter das schattige Sonnendach zurückgezogen und lediglich den Ausblick bewundert. So manches Mal war sie schon im Morgengrauen die steile Treppe emporgestiegen, um den Sonnenaufgang zu genießen, zuzusehen, wie sich die ersten Strahlen durch den Dunst brachen und auf der gegenüberliegenden Seite des Canalazzos die obersten Stockwerke der Palazzi golden färbten. Domenicos Haus lag zwar nicht direkt am Canal Grande, aber es war hoch genug, um diesen von ihrer Loggia aus über die Dächer der beiden dazwischenliegenden Palazzi sehen zu können, wenn sie sich ein wenig auf die Zehenspitzen stellte. Sie hatte sich sogar einen kleinen Garten hier oben angelegt. Keinen Kräutergarten, wie Domenicos Mutter ihn unten, in einem der Höfe, pflegte, sondern einen mit blühenden Topfblumen. Jetzt im Winter sahen diese Pflanzen natürlich sehr dürftig aus, aber sie freute sich schon auf das kommende Frühjahr, wenn wieder alles wuchs, grün wurde und blühte.
Zu ihrer Überraschung hatte sich ihre Schwiegermutter zu ihr gesellt. Ihre Zofe hatte der alten Dame ihren kostbaren Pelz hinaufgebracht, sie fürsorglich eingehüllt und dann waren sie beide einmütig nebeneinander gesessen und hatten über die Dächer geblickt. Alles war grau, nur ein Dunstschleier – zartrosa – lag über den Dächern, wenn man Richtung Canal Grande blickte. Vor allem aber war es friedlich hier oben, wo Sofia gewiss nicht hinaufkommen würde.
Domenicos Mutter hatte begonnen, sich dafür zu entschuldigen, dass Sofia im Haus wohnte. Sie musste bemerkt haben, wie unangenehm Laura die Gegenwart dieser Frau war, auch wenn Laura immer versuchte, einem Gast ihrer Schwiegermutter und ihres Mannes höflich und zuvorkommend entgegenzukommen. Auch jetzt hatte sie sich beeilt, die Bedenken der alten Dame zu zerstreuen, schon aus Furcht, Clarissa Ferrante würde ihr die Angst und Eifersucht ansehen, die sie Sofias und Domenicos wegen hatte. Sie hätte sich nicht nur lächerlich damit gemacht, sondern auch der liebenswerten Schwiegermutter eine Kränkung oder Sorge mehr zugefügt. Und die hatte ohnehin schon genug unter Sofias Gegenwart zu leiden. Sie hatten danach – natürlich – über Domenico gesprochen, und Laura hatte mit stiller Genugtuung gehört, dass er sich verändert hätte, liebenswürdiger geworden sei, nachgiebiger und aufmerksamer. Clarissa Ferrante schien diese Veränderungen ihrem, Lauras, wohltuenden Einfluss zuzuschreiben und ging sogar so weit, schon davon zu sprechen, welchen Raum sie als Kinderzimmer umgestalten wolle, welche Frauen als Ammen in Frage kämen und wen sie als Lehrer des zukünftigen Nachfolgers des Hauses Ferrante ins Auge fasste. Laura hatte nur still und mit heißen Wangen zugehört und sich gefragt, was ihre Schwiegermutter zu ihrem doch leicht sündigen Verhältnis zu ihrem Cavaliere sagen würde. Und dabei hatte sie innerlich gebetet, dass all diese Dinge einmal Wirklichkeit würden und gehofft, dass die Freude ihrer Schwiegermutter nicht verfrüht sei. Domenico hatte sich ihr gegenüber verändert, das war offensichtlich. Aber seit Sofia im Haus war, hatte die alte Furcht wieder von ihr Besitz ergriffen.
Während sie langsam durch die Straßen ging, wiederholte Laura in Gedanken das Gespräch mit ihrer Schwiegermutter und alles, was Domenico ihr in den letzten Tagen und Wochen gesagt hatte. Sie dachte auch über diese zärtliche Art nach, mit der Domenico sie in den Arm genommen hatte, bevor Sofia und Ottavio das trauliche Zusammensein gestört hatten und sie davon gelaufen war, weil sie die Blicke der beiden nicht ertragen hatte.
Sie hatte schon längst das vornehme Viertel um San Marco, wo sich Domenicos Haus befand, verlassen und war über die Rialto-Brücke hinüber zum Fischmarkt gegangen. Jetzt, gegen Abend, war hier üblicherweise weniger Trubel,
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