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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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bekommen. Dann lobte sie die Ordnung in meinem Zimmer. ‘Du mußt allein auf das Fest gehen. Ich werde versuchen, mich gesund zu schlafen.’
    Meine Frau kam mir damals vor wie von einem anderen Stern, der eine ebenmäßige Bahn um die Sonne zog. Ich schloß die meergrünen Vorhänge. Sie zog sich behutsam aus, als entkleide ein kleines Mädchen ihre Lieblingspuppe. Dann schlüpfte sie unter die Bettdecke und zog sie bis zur Nasenspitze hoch. Der Raum war gefüllt mit Unterwasserlicht und einer fast unnatürlichen Stille. Ich schloß leise die Tür hinter mir. Auch auf der Treppe versuchte ich, gleich einem Einbrecher, so wenig Lärm wie möglich zu machen.
    Der Innenhof der Kunstschule war bereits gefüllt mit Gästen. Die meisten saßen an langen Bänken. Es herrschte jene diffuse Heiterkeit, die typisch für solche Veranstaltungen ist. Es ist immer das gleiche Ritual: Jeder kennt jeden, und keiner kennt keinen. Am wenigsten kennt man sich selbst. Aber man sitzt in der Kirche des Lebens und feiert die Messe des Augenblicks. Über dem offenen Geviert des Atriums hing ein riesiger goldener Rahmen. Die Absicht war unverkennbar. Man blickte durch ihn hindurch in den unnatürlich blauen Himmel mit den unnatürlich weißen Quellwölkchen. Zuweilen flog eine Taube vorbei. So wurde dieser Ausschnitt der Natur in ein Gemälde verwandelt. Die Idee war nicht schlecht. Sie stammte, wie ich erfuhr, von Knoop. Seine Malklasse hatte sie für das Fest realisiert.
    Lauras Anwesenheit war unverkennbar, auch wenn ich sie nicht gleich sah. Ich hörte ihr Lachen aus dem allgemeinen Stimmengewirr deutlich heraus. Knoop saß neben ihr und fuchtelte mit den Händen. Er deutete immer wieder nach oben.
    ‘Ich habe das Abbild dieser ziehenden Wolke aus einer Laune heraus blau unterlegt. Mir schien ein konventionell gemalter Himmel in diesem Fall das Richtige zu sein. Denn es handelt sich auch nur um eine ganz gewöhnliche Sommerwolke.’
    Ich drängte mich durch die Menge. Die meisten waren viel jünger als ich. Ein spanisches Gitarrenduo begann zu spielen, ohne daß das Stimmengewirr nachließ. Aus einer Ecke des Hofes zogen die Rauchschwaden einer Grillanlage und stiegen durch das Knoopsche Gemälde zum Himmel.
    Ich hatte zwischen Laura und ihrem Nebenmann eine kleine Lücke entdeckt. Bei dem Versuch, mich zu setzen, stellte ich fest, daß die materielle Ursache der Lücke ein Tischbein war. Als es mir endlich gelungen war, Platz zu nehmen, war das Tischbein zwischen Laura und mir. Sie hatte sich flüchtig umgedreht und mir zugenickt. Dann wandte sie mir wieder den Rücken. Sie unterhielt sich mit Leuten auf der anderen Seite. Ich verstand nicht, wovon sie redeten. Nur manchmal schnappte ich das Wörtchen ‘nett’ auf. Offenbar fanden sie alles nett, das Wetter, die Musik, die Menschen um sie herum.
    Neben mir aß jemand eine angekohlte Bratwurst. Dabei dippte er sie immer wieder in ein Häufchen Senf und malte anschließend mit dem Wurstende auf einem Papptablett herum. Ein Bild entstand. Ein gelbes Senfmeer unter einem gelben Senfhimmel. Auch der Strand war senfgelb. Trotz dieser fehlenden Auswahl an Pigmenten unterschieden sich die Landschaftsteile deutlich voneinander. Der Mann war ein Könner. Mittels Pinselstrich und unterschiedlicher Dicke des Farbauftrags schaffte er die Wirkung von Tiefe und Atmosphäre. Als er fertig war, signierte er mit dem letzten Rest der Wurst und einem Senftupfer.
    Er hob das Gemälde hoch und hielt es mit gestrecktem Arm von sich. So wirkte es noch überzeugender. Ich äußerte meine Bewunderung. Er sah mich an aus kleinen, wasserhellen Augen, die sehr flink zu sein schienen. ‘Von dort kommt das Fräulein neben Ihnen’, sagte er in einem starken Wiener Akzent. ‘Sie hat mir erzählt, daß sie am Meer aufgewachsen ist. Vermutlich stammen Sie auch von einem solchen?’
    ‘Wie kommen Sie darauf?’
    ‘Wissen Sie, die am Meer Aufgewachsenen sehen im Binnenland immer etwas ratlos und unruhig aus. Es ist, als ob das Fehlen der Küste ihnen ein Übermaß an Bewegungsfreiheit gewährt, womit sie sich nicht auskennen. Der Binnenländer hingegen wirkt am Meer immer ein wenig ertrunken.’
    Der Mann war interessant. Die Aufregung, neben Laura zu sitzen, legte sich.
    ‘Wissen Sie, schlechtes Essen inspiriert außerordentlich. Da Kochen selbst eine Kunst ist, kann man auch sagen, daß schlechte Gemälde den Hunger beflügeln. Ich hole mir jetzt noch einen dieser angebrannten Pfeiler des deutschen

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