Lauras Bildnis
Haaransatz. Es konnte Zufall sein. Es gab aber auch eine ganz einfache Erklärung: Ich hatte das Porträt der Gentildonna inzwischen so häufig und intensiv betrachtet, daß ich es unwillkürlich auf jedes nur halbwegs ähnliche Gesicht projizierte.
Ich mußte die Wahrheit herausfinden. Vielleicht war es kindisch, aber ich ging einfach hinaus und über die Wiese, die das Museum von der Kunstakademie trennt. Die Akademie ist eine architektonische Monströsität. Teile des Baus stammen aus der Zeit, in der auch unser Museum entstand. Jedoch wurde immer wieder angebaut und erweitert, zuletzt in den fünfziger Jahren.
Der Gesamteindruck erinnert stark an die bedrückende Atmosphäre eines Kleinstadtgymnasiums. Es ist kein Tempel der Musen, auch wenn vor beiden Eingängen ein Geviert aus jeweils acht Säulen steht. Die Studenten pflegen hier ihre Räder abzustellen.
Im Foyer in der Nähe des Schwarzen Bretts sah ich die beiden wieder. Sie stand mit lässig verschränkten Armen neben dem Professor, der gestikulierend und mit stark rollendem ‘R’ die Lage verschiedener öffentlicher Einrichtungen des Stadtteils erklärte. Es ging um Post, Banken, Supermärkte, Waschsalons. ‘Um die Ecke ist ein guter Grieche’, sagte der Aktionskünstler. ‘Du mußt unbedingt den Auberginensalat probieren.’
Er duzte sie also bereits. Sie mußte meine Nähe gespürt haben, denn sie drehte sich plötzlich um und lächelte mich an. Meine Verwirrung hätte nicht größer sein können. Es war die Gentildonna! Sie gab mir die Hand und nannte ihren Namen. In diesem Moment drehte sich auch der Professor um. ‘Da ist ja unser großer Restaurator’, sagte er und rollte das R noch übertriebener. ‘Darf ich vorstellen!’‘Wir haben uns bereits bekannt gemacht, hinter deinem Rücken’, unterbrach sie ihn. ‘Unsere neue Stipendiatin’, sagte der Professor. Knoop hieß er. Aber er signierte seine Werke mit irgendeinem Phantasienamen, den ich mir nicht merken kann. Ich stotterte ein paar unverbindliche Worte. ‘Kommen Sie doch zur öffentlichen Vorstellung der Stipendiatin’, sagte Knoop.
‘Unser großer Restaurator’, hatte dieser freche Kerl gesagt. Ich ärgerte mich über seine platte Ironie. Es gab allerdings einen Grund, warum ich nicht gerade beliebt war bei den meisten Lehrern der Akademie. Ich bin zwar kein kreativer Maler, beherrsche jedoch ziemlich alle Techniken und Stile epigonal. Bei einem Wettbewerb, den die Akademie ausgeschrieben hatte, schickte ich unter verschiedenen Namen je ein surrealistisches, ein kubistisches, ein tachistisches und ein fotorealistisches Bild ein. Alle vier Arbeiten wurden angenommen und ausgezeichnet, und das bei einer gewaltigen Anzahl von Einsendungen. Knoop saßübrigens in der Jury.
Als ich hinterher die Identität der vier Künstler lüftete, beglückwünschte mich Knoop für meine Vielseitigkeit, aber es war nicht zu übersehen, daß er beleidigt war.
Am Abend telefonierte ich mit meiner Frau und teilte ihr mit, daß ich wegen des Hoffestes der Akademie übers Wochenende in der Stadt bleiben wolle. ‘Du klingst so komisch’, sagte sie. ‘Ist was los mit dir?’ Ich ging nicht auf die Frage ein, aber ich schenkte mir während des Telefonats einen Schnaps aus und trank ihn vor der Sprechmuschel. Meine Frau kündigte an, daß sie vielleicht ebenfalls kommen wolle.
Später kam Dr. Labisch. Er stand in der Tür, als wäre er nur da, um seinen berühmten Satz ‘Wenn ich dann noch lebe’ zu widerlegen. Er hatte drei Flaschen toskanischen Rotwein dabei. Wir setzten uns in meine beiden Sessel am Fenster. Ich zündete eine Kerze an, da es dämmerte. Doch Dr. Labisch bat, sie wieder löschen zu dürfen. ‘Zu feierlich’, sagte er. Er beleckte Daumen und Zeigefinger und drückte die Flamme aus. Im schwindenden Licht sah sein Gesicht leichenblaß aus. Er redete viel und bald mit schwankender Stimme. Er erzählte von seinem letzten Urlaub. Er war in Harlem gewesen, hatte mehrere Tage an der gleichen Straßenecke gestanden und die Menschen beobachtet. Es war eine gefährliche Ecke. Dealer, Prostituierte, Straßenräuber, Obdachlose. Ihm war nichts passiert.
Es war bekannt, daß er solch eigenartige Reisen unternahm. Er war auch schon in Bangkok, in Singapur, in Neu-Delhi gewesen. Immer suchte er sich besonders schlimme Ecken aus, um schweigend und beobachtend Stunde um Stunde zuzubringen.
Auf meine Vorhaltungen hin sagte er: ‘Wissen Sie, man ist nur in Gefahr, wenn man etwas verkörpert
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