Lauras Bildnis
Nationalstolzes. Möchten Sie auch eine Wurst?’
Ich nickte. ‘Dann halten Sie mir, bitte, meine beiden Plätze frei.’ Er lächelte und stand auf. Jetzt sah ich, wie außerordentlich dick dieser Mensch war. Er hatte mit seiner Bemerkung nicht übertrieben.
Als er zurückkam, brachte er zwei Biergläser und ein neues Papptablett mit Senf und Würsten mit. Trotz der Hitze und des Gedränges schwitzte er kein bißchen. Sein blütenweißes, gestärktes Hemd wirkte einwandfrei.
Das Senfgemälde war inzwischen angetrocknet und dabei nachgedunkelt.
‘Hawelka’, stellte er sich vor, ‘Gastprofessor für Mediales. Könnten Sie es ein wenig restaurieren? Ich möchte es Ihrer Nachbarin schenken.’
‘Woher kennen Sie mich?’
‘Sie sehen halt wie einer aus. Wie ein echter Restaurator. Ein bißchen zu sehr nach Künstler. Und mit ein ganz klein wenig Verbitterung um die Mundwinkel wegen der vielen Kenntnisse über schlechte Malerei. Außerdem haben Sie Farbspuren an den Fingern und waschen Ihre Hände zu oft.’
Ich biß in meine Wurst und begann, das Kunstwerk Hawelkas vorsichtig mit frischem Senf zu betupfen. Es gelang mir ziemlich gut, die alte Wirkung des Bildes wiederherzustellen. Inzwischen räsonierte Hawelka weiter über kühne Zusammenhänge von Kochen und Malerei. ‘Wissen Sie’, sagte er, ‘beim ernsthaften Kochen sitzt der Magen Modell.’ Hawelka legte eine Hand auf seinen Bauch. ‘Es gibt den sitzenden oder den liegenden Magen. Auch den stehenden natürlich. Am liebsten ist mir der liegende Magen. Wenn er Modell ist, entstehen Speisen, für die ein höchst interessantes Ineinander von süßen und bitteren, auch säuerlichen Geschmacksnuancen charakteristisch ist. Der sitzende Magen ist für unser Gulasch verantwortlich. Und der stehende mag am liebsten Suppen. Er kann sich dann wie ein richtiges Gefäß vorkommen.’
Ich hörte nicht immer zu. Manchmal versuchte ich aufzuschnappen, was Laura redete.
‘Wissen Sie, es ist eine Tatsache, daß allein die Frau kochen kann, genauer gesagt, die Frau ab Fünfzig oder, präziser, nach ihren Wechseljahren. Nur sie versteht etwas von Saucen zum Beispiel. Saucen leben von der Kunst des richtigen Anbrennens und Ablöschens. Eine jüngere Frau läßt nichts anbrennen. Der Mann verbrennt tendenziell alles. Die Haute Cuisine ist nichts anderes als das neurotische Produkt des kochenden Mannes oder die Überreaktion auf die Angst, als Mann alles zu verbrennen.’
Ich schob das fertig restaurierte Senfgemälde zu Laura hinüber. ‘Für Sie’, sagte ich, ‘von Herrn Hawelka gemalt und von mir restauriert.’ Sie nahm das Präsent mit einem Lächeln entgegen. Dann tippte sie einen Finger ins Meer und leckte ihn ab. ‘Gut’, sagte sie, wobei sie das ‘t’ fast verschluckte. ‘Manchmal, nach einem kräftigen Sturm, sehen Himmel und Meer genauso gelb aus.’ Dann wandte sie sich wieder von uns ab.
Kurz danach holte ich zwei Biere und für Hawelka eine Wurst. Allmählich wurde auch ich laut und redselig. Ich erzählte Hawelka von meiner Jugend am Meer. Zur Anschauung hielt ich den Bierkrug aus Preßglas hoch. Schaum und Perlchen und die urinfarbige Flüssigkeit schmückte ich mit Geschichten von Stürmen und heißen Tagen am Strand. Auch wenn ich mich an Hawelka wandte, redete ich insgeheim mit meiner Nachbarin. Ich weiß nicht, was sie von meinen Geschichten mitbekam. Einmal drehte sie sich um und sagte brüsk, ich solle nicht so schreien. Ich entschuldigte mich wie ein kleiner ermahnter Junge. Die Maßregelung ärgerte mich keineswegs. Ich nahm sie eher als Indiz für ein heimliches Vertrautsein.
‘Was halten Sie von Knoop?’ fragte ich Hawelka. Knoop saß immer noch neben Laura; meistens sprach sie mit ihm.
Hawelka sah zu dem goldbronzierten Rahmen hoch, in dem jetzt graue Wolken mit Regenbäuchen erschienen. ‘Knoop hat sich hier ganz gut selbst porträtiert’, sagte er. ‘Er ist ein lebender Rahmen. Was man in ihm sieht, ist jeweils den Leuten zu verdanken, die sich mit ihm beschäftigen.’
‘Laura’, dachte ich voller Eifersucht, ‘du sollst diesen Menschen nicht so wichtig machen durch dein Zuhören und Reden.’
Als die ersten Windstöße der Regenfront kamen, begann der Rahmen zu schaukeln. Der Hof leerte sich erstaunlich schnell. Schließlich saßen nur noch Hawelka und ich am Tisch. Die ersten Tropfen fielen. Auf Hawelkas gestärktem Hemd erschienen hellgraue, gekräuselte Flecken, als sei ein ungeschickter Maler am Werk, der ein
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