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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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schlimm, sie nicht zu finden, denn alle Dinge hingen ja zusammen, berührten sich in einer langen Kette, die irgendwo mit meiner Geliebten verbunden war.
    Ich ging über die Brücke in die Stadtbücherei und sah in alle Nischen, vergeblich.
    Ich überlegte, ob ich mich in den Stadtteil wagen sollte, den ich vor kurzem mit Laura entdeckt hatte. Vielleicht saß sie bei Hermes und Aphrodite, oder sie aß Currywurst an der Trinkhalle. Doch ich gab auf und ging nach Hause.
    Ich zog die meergrünen Vorhänge zu und ging zu Bett. Mir war übel, und ich hatte starke Kopfschmerzen. Als ich die Decke bis zur Nase hochzog, war es, als verwandelte ich mich in meine Frau. Wie tot lag ich da, ertrunken im Unterwasserlicht des Raumes.
    Wahrscheinlich habe ich eine Weile geschlafen. Bekanntlich erinnert man sich nie an den Übergang vom Wachsein zum Schlaf, was nicht heißt, daß man ihn nicht erlebt. Es muß eine rätselhafte Phase zwischen beiden Zuständen geben, in der man weder wach ist noch schläft. Phantasie und Wirklichkeit gehen ineinander über wie bei einem Geisteskranken. Ich möchte behaupten, kurz vor dem Einschlafen ist jeder Mensch eine Weile verrückt. Er kann Realität und Traum genausowenig trennen wie sich und die Umwelt. Es ist die gleiche Trance des Irrsinns, die man im Stadium der großen Liebe erlebt. Und vermutlich ist man in einer ähnlichen Verfassung, kurz bevor man stirbt und kurz danach.
    Ich schreckte von einem Klingelgeräusch auf. Ich war so überreizt, daß ich es wie einen Schmerz in der Brust fühlte. Ich erhob mich und öffnete die Tür. Ich war nackt, aber meine von Schweiß bedeckte Haut kam mir wie ein Mantel vor. Laura kam herein. Ich schlüpfte ins Bett, und sie setzte sich zu mir. Ich erzählte ihr, wie es mir ergangen war. Daß ich sie vergeblich in der Stadt gesucht hatte wie eine Nadel im Heuhaufen.
    ‘Du bist die Nadel’, sagte Laura. ‘Und ich bin dein Heuhaufen. Ich war tatsächlich in der Bibliothek. Ich wußte, daß du mich dort suchen würdest. Ich habe mich in eine Ecke gesetzt, von der ich wußte, daß du sie nicht finden würdest.’
    Ich war verletzt. Sie mußte es mir angemerkt haben, denn sie fuhr fort zu erklären: ‘Ich wollte allein sein. Ich wollte mir in Ruhe ein paar Bücher ansehen. Phil hat gestern angerufen. Ich glaube, ich war nicht sehr freundlich am Telefon. Ich möchte, daß du heute abend zu mir kommst.’
    Sie hatte ein paar Apfelsinen mitgebracht. Ich starrte die Früchte an, nachdem sie gegangen war. Sie waren kalt, aber sie hatten die Farbe des Feuers.
    Wissen Sie, Madame und Monsieur, ich war damals nicht zurechnungsfähig. Ich legte allen Sinneseindrücken zu großes Gewicht bei. Doch ist dies nicht der einzige Weg, wie man ein Maler werden kann? Ich werde dieses Orange der Apfelsinen vor dem meergrünen Vorhang in meinem Zimmer nicht vergessen. Es waren genauso viele Sonnenuntergänge, wie es Früchte waren, und das Meer war unendlich.
    Als es dunkel wurde vor den Fenstern, stand ich auf, um zu Laura zu gehen. Mein Zustand war erbärmlich und angenehm zugleich. Ich spürte den feinen Nieselregen wie einen Strom kleinster Gefühle und Gedanken, als sei der Bewußtseinsstrom nach draußen in die Nacht verlegt. Meine Stimmung und die zahllosen Bilder, die ich in mir sah und die bei jeder Kopfdrehung zu wechseln schienen, kamen mir geträumt und zugleich sehr gegenständlich und real vor.
    Ich ging in einem Konfettiregen von Eindrücken, Farben, Erinnerungen, winzigen splitterhaften Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft. Ich starrte in mich hinein wie in ein Kaleidoskop, das jeden meiner Schritte zu neuen bunten Mustern schüttelte.
    Es war die gleiche Szene wie schon einmal. Auf mein Klingeln ging die Tür auf, und Laura stand in ihr wie in einem Bilderrahmen, ein dunkler, sehr aufrechter Schatten mit goldenem Rand.
    Der Ofen brannte. Laura hatte eine Suppe gekocht. In diesem Haus schien immerwährender, wohliger Winter zu herrschen. ‘Ich finde es verrückt, daß wir uns so vertraut sind, obwohl wir uns erst den vierten Tag kennen’, sagte ich. ‘Alle Kommentare sind überflüssig’, dachte ich zugleich. ‘Aber es tut gut, auszusprechen, was sich von selbst versteht.’ Jeder kennt die angenehme Leere von Beschwörungsformeln.
    Laura setzte sich auf die Holzbank neben mich. Sie blies die Haare aus ihrem Gesicht und küßte mich. ‘Iß deine Suppe auf und komm’, sagte sie. Brav löffelte ich zu Ende. Dann nahm mich Laura bei der Hand und

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