Lauras Bildnis
Sängerin, zuwenig bei der Musik’, sagte sie.
Wir gingen in der Pause und schafften es noch, rechtzeitig ins Theater zu kommen. Ich triumphierte innerlich und erstand zwei Karten in einer Viererloge. Sie war ganz und gar mit rotem Plüsch ausgeschlagen. Laura nahm auf dem freien Stuhl neben einem älteren Paar Platz. Ich schob mich auf den Notsitz hinter ihr. Um etwas sehen zu können, mußte ich mich über sie beugen. Auch auf dieser Bühne war ein großes Bett der Mittelpunkt. Es gab Schnitzlers Reigen. Laura amüsierte sich königlich über die verschiedenen Liebesszenen. Ich hatte wenig Interesse am Geschehen. Meistens drückte ich so sanft wie möglich mein Gesicht in ihre Haare. Dann und wann wandte ich mich um und blickte in den Logenspiegel. In seinem goldbronzierten Rahmen sah ich Lauras Locken, und ich sah mich, wie ich ihnen meine Wange näherte. Ein Bild, das ich geschaffen hatte und das nun in seiner erotischen Künstlichkeit im Halbdunkel des winzigen Raumes zu fluoreszieren schien.«
An dieser Stelle brach Francesco seine Erzählung unvermittelt ab. Es war deutlich, daß er jenes Bild vor sich sah und daß er es nicht durch weiteres Reden zerstören wollte. Madame Régusse und Monsieur Bazin erhoben sich leise und machten sich davon. Man hätte sie für ein älteres Ehepaar halten können.
Fünfter Abend
Francesco schlief kaum in dieser Nacht. Überall glaubte er, Laura zu sehen. Wenn er die Augen schloß, war es am schlimmsten. Dann sah er jede Einzelheit ihres Gesichtes, die feine Narbe am Hals, den halboffenen Mund, die Augen, die es vermieden, ihn voll anzusehen. Es war die Gentildonna, und es war Laura. Am erträglichsten war es noch, wenn er aufstand und auf und ab lief. Dann verblaßte das Bild ein wenig, ohne jedoch ganz zu verschwinden.
Noch vor der Morgendämmerung verließ Francesco sein Zimmer. Er schlich durch das Haus und landete vor der Tür, hinter der Madame Régusse lebte. Er war nur einmal in ihrem Zimmer gewesen, als er hier eingezogen war. Es war vollgestopft mit Erinnerungsgegenständen, Nippes, Porzellanblumen und dergleichen. »Mein privates Museum«, hatte Madame Régusse gesagt. »Ich habe nichts erlebt, aber es ist dennoch erstaunlich, wieviel Tage es gab, in denen eine Nebensache alles beherrschte. Ich glaube nicht, daß man leben kann, wenn man nicht manchmal den Überblick verliert.«
Er entsann sich genau ihrer Worte. Später hatte er vergeblich versucht, Madame Régusse in ein Gespräch über ihre Vergangenheit zu ziehen. Jetzt stand er vor ihrer Tür und hatte die Hand auf die Klinke gelegt. Es war kühn, sie niederzudrücken und die Tür einen Spalt zu öffnen. Francesco steckte den Kopf hinein. Da bereits ein wenig Frühlicht durch die Läden drang, konnte er im Schattenlabyrinth des Raumes das Bett erkennen. Er sah ihren Kopf. Sie lag mit geöffneten Augen da. Ihre regelmäßigen Atemzüge machten die Stille im Raum noch tiefer. Francesco wagte sich so leise wie möglich ein paar Schritte in den Raum hinein und erstarrte in der unbequemen Haltung einer antiken Statue mit Stand- und Spielbein. Mehr und mehr beschlich ihn das seltsame Gefühl, daß dieser regelmäßige Atem, den er hörte, sein eigener sei und daß er ihn einer Toten lieh.
Als er den Raum endlich verließ, wußte er nicht, wieviel Zeit verstrichen war. Es dämmerte bereits, und die Morgenvögel sangen. Francesco legte sich hin und konnte endlich einschlafen.
Als sie sich am Abend in der Höhle trafen, kam ihm Madame Régusse verändert vor. Sie wirkte jünger, als habe sie eine ganze Weile gegen die Zeit gelebt.
»Rückreisen haben für mich immer etwas von Begräbnissen an sich«, begann Francesco. »So war es auch diesmal. Wir suchten uns ein leeres Abteil, während draußen die letzten Vorstädte von Wien vorbeiglitten. Ich war traurig, denn ich glaubte, daß nun alles schwieriger werden würde. Laura war nichts anzumerken. Sie zog die Sitze aus und legte sich unter ihren Mantel. Ich setzte mich in eine Ecke am Gang und betrachtete ihren von den Bewegungen des Zuges geschaukelten Körper. ‘Das ist Liebe’, dachte ich, ‘sie ist nichts anderes als der Blick auf das, was man liebt.’ Sie werden wie ich, Madame und Monsieur, die Erfahrung gemacht haben, daß es eine besondere Nähe zwischen Menschen gibt, die mit einem wenn auch nicht sehr großen, jedoch permanenten Abstand verbunden ist. Wie bei den parallelen Schienen eines Gleises, die sich erst im Unendlichen treffen. Immer ist
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