Lauras Bildnis
Verstehen Sie, in diesen wenigen Sekunden, in denen die Säure wirkt, entsteht aus einer Kopie ein Original!’ Ich muß ihn ziemlich verständnislos angesehen haben, denn er verließ seinen Platz und klopfte mir tröstend auf die Schulter. ‘Möchten Sie einen Kaffee?’ fragte er.
Ich erzählte ihm von meiner Freundin und ihrer Bewunderung für das ‘Mädchen mit dem Pelz’.
‘Ich habe es restauriert’, sagte er, ‘vorausgesetzt, man will diese Pfuscherei so bezeichnen. Tizian ist übrigens ein recht gutes Beispiel für meine These, daß es keine Originale in der Malerei gibt, vielmehr nur Kopien und Fälschungen. Tizian war einer der größten Fälscher überhaupt. Er kopierte nackte Frauen nach der Natur, und das so perfekt, daß sie fast lebendiger wirken als das Original, das natürlich selbst wieder eine Fälschung ist. Wenn man der Bibel Glauben schenken soll, dann gab es nur ein Original, und das war Eva. Danach lauter Kopien. Fortpflanzung ist doch wohl als elende Kopistentätigkeit zu bezeichnen. Sind Sie verheiratet, Kollege?’
Die Frage traf mich so überraschend, daß ich eine Weile nichts sagte und dann so etwas wie schlechtes Gewissen empfand, als ich zugab, verheiratet zu sein. ‘Sehr gut. Ich empfehle Ihnen, die Scheidung einzureichen. Ich lebe ebenfalls in Scheidung. Es ist ein Zustand zwischen Zwang und Erlösung. Wie ich meine gute Frau kenne, wird sie mir die Haut vom Leibe ziehen. Übrigens verstand sich Tizian hierauf ebenfalls sehr gut. Er verhexte seine Opfer, zog ihnen die Haut ab und klebte sie auf die Leinwand. Ich muß es wissen, ich habe schließlich sein Inkarnat restauriert. Es ist Haut, menschliche Haut. Ekelhaft, dieser Mensch wurde hundert Jahre alt und starb dennoch keines natürlichen Todes. Die Pest raffte ihn dahin. Sonst würde er vielleicht heute noch... Ich sage Ihnen, ein Lebenskünstler war er, geil bis ins höchste Alter, er malte seine schönen Nackten, die so entspannt dazuliegen verstehen, im Zustand sexueller Erregung.’
Ich fühlte mich unwohl und sah auf die Uhr, suchte einen Anlaß zu gehen, doch wurde ich nun zu einem Bild geführt, das in der Tat die Aufmerksamkeit verdiente, die ihm mein Kollege trotz seiner Kunstverachtung schenkte. ‘Ich arbeite seit einigen Monaten daran’, erklärte er. ‘Sie sehen, es handelt sich um ein ungewöhnliches Motiv. Eine fromme Frau, der Überlieferung nach die heilige Magdalena, stützt sich auf ein Rad und lächelt schmerzlich. Ich habe mich gefragt, was für ein Rad dies wohl sein mag. Es ist viel zu groß, und es hat völlig widernatürliche Zacken, die wie Haifischzähne aussehen. Auch mit der Magdalena stimmt etwas nicht. So flachbrüstig ist nicht einmal eine Heilige. Wissen Sie, was ich herausgefunden habe, Kollege? Es handelt sich um den seltenen Fall eines Geschlechtswandels durch Übermalung. Das fromme Motiv ließ sich wahrscheinlich besser verkaufen. Die heilige Magdalena ist in Wahrheit Narziß, das Wagenrad ein Brunnenrand. Narziß ist traurig, er sieht sich im Spiegel des Wassers, er bemerkt die Kopie der Kopie, eine endlose Spiegelung von sich in sich. Leider ist das Bild am unteren Rand beschnitten, und somit können wir die Spiegelung nur ahnen. Sie muß einem furchtbaren Abgrund gleichen, so wie dieser Jüngling ausschaut. Ich habe noch nicht alle Übermalungen beseitigt. Das Lächeln wird ihm noch mehr vergehen.’
Als ich endlich wieder in den öffentlichen Räumen war, suchte ich Laura vergeblich. Ich fand sie im Hotel. Sie saß auf dem Bettrand und hatte die Strumpfhose halb ausgezogen. Das eine Bein schwarz, das andere weiß. Sie sah mich mit diesem Blick an, den ich inzwischen so gut kannte. Er traf mich nicht voll, ging ein wenig an mir vorbei und umfaßte mich doch. Ich wußte, sie war sehr weit weg und zugleich sehr nah. ‘Ich möchte bald fahren, sagte sie, ‘sonst komme ich nie wieder hier weg.’
In den letzten Tagen, die wir in Wien verbrachten, wuchs meine innere Unruhe. Hatte ich Angst, sie bald zu verlieren? Wir waren noch nie so häufig zusammengewesen wie in der letzten Zeit. Vielleicht lag hierin eine Gefahr. Ich war anspruchsvoller geworden, was die Realität unserer Beziehung anging, und mir wurde zugleich immer klarer, daß ich mich, was meine Freundin anging, nach wie vor auf unsicherem Boden bewegte. Zu diesem Gefühl trug ein Vorfall am letzten Tag unseres Wienaufenthaltes bei. Wir waren ins naturhistorische Museum gegangen. Architektonisch war es mit dem
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