Lauras Bildnis
gegenüberliegenden kunsthistorischen Museum identisch. Doch die Exponate hier bildeten einen Kontrast zu den hervorragenden Gemälden der Galerie, wie er extremer kaum sein konnte. Ganze Rudel räudiger, ausgestopfter Großkatzen, mottenzerfressene Schwärme von Möwen, verstaubte Papageien, Spinnen, Reptilien, Würmer, tote Affen, die wie Schmierenschauspieler in theatralischen Posen erstarrt waren, eine Sammlung, die alle Exemplare tierischen Lebens umfaßte wie eine gigantische Arche Noah. Dabei war alles in einem Zustand der Verrottung und Verwahrlosung, der der Sammlung die Aura eines Archivs aller möglichen Spielarten der Vergänglichkeit verlieh.
Ich genoß es, Laura in einem gewissen Abstand zu folgen und sie in all ihrer Lebendigkeit zwischen den Präparaten dieses Gruselkabinetts zu beobachten. Sie trug die grüne Bluse, in der ich sie zum erstenmal gesehen hatte. Sie nahm sich viel Zeit bei ihrer Visite, und ihr Gesicht spiegelte deutlich Abscheu oder Interesse, je nach dem Exponat, vor dem sie stehengeblieben war. Einmal sah ich sie durch ein großes, mit einem Konservierungsmittel gefülltes Aquarium, in dem ein riesiger Quastenflosser schwamm. Lauras Gesicht war durch die gelbliche Flüssigkeit wächsern verfärbt. Immer wenn sie sich kaum merklich bewegte, sah es aus, als käme Leben in den Fisch. Die zerfransten Flossen bewegten sich, als wollte er sich in die Tiefen des Ozeans und der Zeit aufmachen, aus denen er herkam. ‘70 Millionen Jahre gegen ganze vierunddreißig’, dachte ich.
Laura war inzwischen weitergegangen und vor einer überdimensionalen Tür stehengeblieben. An ihrer Klinke hing ein Schild mit dem Hinweis ‘Wegen Umbau geschlossen’. Laura drückte sie ein paarmal vergeblich nieder. Sie schien enttäuscht.
Drei Wärter eilten herbei. ‘Der Raum wird nächste Woche wieder zugänglich sein, gnädige Frau’, sagte einer. ‘Ein hochinteressanter Raum’, sagte der zweite. ‘Das Reptilienkabinett’, sagte der dritte.
Was nun geschah, mußte ein grober Verstoß gegen die Gesetze dieses Universums der Kadaver sein. Einer der Wärter holte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche, schloß auf und öffnete die Tür so weit, daß Laura hindurchschlüpfen konnte. Dann drückte er die Tür wieder zu und baute sich wie ein Leibwächter davor auf.
Es verstrich sehr viel Zeit, bis ein Klopfen zu hören war. Dann der gleiche Spalt, und Laura erschien. Ihre Wangen waren gerötet. Sie ging auf mich zu und zog mich weiter. Vor einem präparierten Hai, dessen Haut an vielen Stellen aufgeplatzt war, so daß man die Füllmasse sehen konnte, umarmte sie mich und drückte die Stirn gegen meine. ‘Es war furchtbar’, flüsterte sie. ‘Lauter Monster mit aufgesperrten Rachen. Ich hab' mir eingebildet, daß sie auf mich zukrochen, ganz langsam und tödlich. Ich habe die Tür nicht gleich gefunden in der Dunkelheit. Es war schrecklich.’ Sie ließ mich los und starrte mich an wie einen Fremden. Dann sagte sie mit ruhiger Stimme: ‘Ich habe solche Angst, daß wir uns verlieren.’
Ich nahm sie tröstend in den Arm. Dabei sah ich an ihr vorbei. Die Tür zum Reptilienkabinett stand offen. Ein Mann erschien darin und verließ mit schnellen Schritten den Raum. Ich glaubte, den Restaurator der Kunstgalerie erkannt zu haben. ‘Warst du allein, Laura?’ fragte ich. Sie sah mich verständnislos an. ‘Meinst du in diesem scheußlichen Kabinett? Natürlich war ich allein mit diesen Teufeln. Was soll diese Frage!’ Sie war ärgerlich. Die Lust am Museumsbesuch war ihr offenbar vergangen, denn sie zog mich zum Ausgang.
Am Abend hatten wir unseren ersten richtigen Streit. Laura wollte in die Oper, ich ins Theater. Natürlich blieb sie Sieger. Zum erstenmal, seit ich Laura kannte, zog sie ein Kleid an. Es war eng, blauschwarz gemustert und hatte ein kleines Brandloch unter der linken Brust. Da sie hochhackige Schuhe trug, war sie um einige Zentimeter größer als ich. Ich war überwältigt von ihrem Kaufhausschick.
Trotz unverschämt teurer Karten saßen wir auf der Galerie direkt unter der Decke, unter der sich unerträgliche Hitze sammelte. Vom Bühnengeschehen war nur etwas zu sehen, wenn man seine Höhenangst überwand und sich weit vorbeugte. Es gab den Rosenkavalier. Eine Frau zwischen zwei Männern. Sie war fett. Wenn sie sang, schwabbelte ihr Doppelkinn, wenn sie sich zur Liebe bereit aufs Himmelbett legte, zerfloß ihr Körper nach allen Seiten. Laura war entsetzt. ‘Zuviel Schmalz bei der
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