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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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Restauratoren im Studio eines süddeutschen Senders teilnehmen. Mein Zug ging um zehn Uhr. Ich hatte noch eine halbe Stunde Zeit, kochte mir einen Kaffee, setzte mich in den alten, zerschlissenen Ledersessel und betrachtete voller Liebe die Gentildonna, die ich wieder auf die Staffelei gestellt hatte. Das Bild glänzte an Stellen, wo ich bereits retuschiert hatte. Andere Partien waren nach der Firnisabnahme stumpf. Genau dies würde das Thema unserer Diskussion sein: Funktion und ästhetische Wirkung von Firnis.
    Firnis macht ein Bild tief, macht es dreidimensional. Die Kontraste wirken verstärkt, die Farben frischer, wie neu gemalt. Es wirkt sozusagen veredelt und oft überraschend räumlich. Der naive Betrachter empfindet dies immer als Verbesserung.
    Amerikanische Restauratoren pflegen alle Bilder zu firnissen, aus einem Schönheitsideal heraus, das meiner Ansicht nach stark von der Verkäuflichkeit von Gemälden auf Kunstauktionen bestimmt ist. Dabei kann Firnis die Qualität eines Bildes durchaus herabmindern. Spätestens seit Cézanne, der seine Bilder nicht firnißte, ist die Räumlichkeit eines Motivs nicht mehr immer angestrebtes Ideal. Hier beginnt der Mut zur Zweidimensionalität, zur Fläche. Solche Bilder zu firnissen, wie es die Amerikaner gnadenlos tun, heißt, ihre ästhetische Botschaft verraten.
    Ich fragte mich, während ich dasaß, ob nicht die australischen Restauratoren genausolche Banausen wie die amerikanischen seien, als mein Blick zufällig aus dem Fenster fiel. Ich sprang auf. Aus dem Schornstein von Lauras Appartement stieg Rauch. Ich spürte, wie mein Puls raste. Warum hatte sie sich nicht gemeldet? Sie hatte doch meine Privatnummer und meine Durchwahl im Museum! Außerdem wußte sie, wo die Fenster meines Arbeitsraumes lagen. Sie hätte sich zeigen können! Mir blieben nur noch zwanzig Minuten Zeit. Ich ließ alles stehen und liegen und rannte hinüber.
    Der Schwall ihrer Haare glitt am Fenster vorbei. Es gab keinen Zweifel mehr, Laura war da! Ich öffnete die Tür und sah sie mitten im Zimmer stehen. Sie war es wirklich, doch war die Wirklichkeit unter dem Druck meiner Gefühle seltsam verformt. Ich näherte mich ihr. Sie legte einen Teller und das Geschirrtuch aus der Hand und lächelte. Auch sie kam jetzt näher. Sie sah nicht aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Augen, Nase, Mund, Haaransatz, alles war ein wenig gegeneinander verschoben, mit Hilfe geometrischer Verschiebungen stilisiert, wie mir schien, einem kubistischen Porträt ähnlich. Jetzt berührten sich unsere Stirnen. Mir schien, daß ihr Mund seitlich davonglitt, aus dem Bild heraus, während sich ihre Augen zu wässrigen Flecken vergrößerten, die sich ausbreiteten und an den Rändern immer mehr verschwammen.
    Als wir uns küßten, war es fremder als beim erstenmal. ‘Ich muß fort’, flüsterte ich. ‘Ich komme heute abend wieder zurück. Bist du dann da?’ Sie nickte, ihre Stirn an meiner Stirn. Wir umarmten uns noch einmal und küßten uns ungeschickt. Als ich mich im Hof kurz umdrehte, sah ich, wie sie mit dem Handtuch in der offenen Tür stand und den Teller abtrocknete.
    Ich war an diesem Tag neun Stunden fort. Davon saß ich über sechs Stunden im Zug. Ich war glücklich, aber zugleich traurig und verwirrt. Sie war zurückgekommen. Sie war nun Wirklichkeit an einer Stelle der Welt, zu der ich wieder Zugang hatte. Aber war es noch die gleiche Laura, die ich liebte? Ich fand, daß unsere Begrüßung ziemlich kühl gewesen war. Gibt es eine größere Qual, Madame, als nicht zu wissen, was in dem Menschen vorgeht, den man liebt? Jetzt erst fielen mir einzelne Äußerungen ein, Satzfetzen, die Laura gesagt hatte, als wir uns umarmten. ‘Ich bin müde, der Jetlag, die Zeitverschiebung.’‘Ich bin seit über zwanzig Stunden unterwegs.’
    Immer tiefer redete ich mich in Enttäuschung hinein. Bei der Diskussion im Studio war ich auf eine Weise redselig und aggressiv, die fast den Rahmen der Veranstaltung zu sprengen drohte. Ich sprach über Firnis, als handele es sich um das entscheidende Problem des Daseins. Meine amerikanischen Kontrahenten schüttelten die Köpfe, als ich vom Einfluß der Kosmetikindustrie auf das Kunstverständnis ihres Landes sprach. Mehrmals machte der Moderator mich durch Handbewegungen darauf aufmerksam, den anderen nicht ständig ins Wort zu fallen.
    Auf meiner Rückfahrt überwog die Vorfreude. Die vorbeiziehende Landschaft verwandelte sich mehr und mehr in einen locus amoenus, der nur

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