Lauras Bildnis
außen her überfremdet.
Ich suchte nach Vorbildern. Der Erhalt originaler Rahmung gehört leider zu den höchst seltenen Ausnahmen der Kunstgeschichte. Ich wurde jedoch fündig. Ausgerechnet das erstaunliche Porträt einer ebenso erstaunlichen Dichterin des 15. Jahrhunderts namens Laura Battiferri, gemalt vom größten Genie des Manierismus, Pontormo, war mit einem Originalrahmen versehen, der wie maßgeschneidert zur Gentildonna paßte.
Es war mehr als ein Zufall. Battiferro heißt Schmiedehammer. Dies paßte zu den harten Zügen der großnasigen Laura Battiferri, die ein selbst für die Renaissance extremes Selbstbewußtsein auszeichnete. Die Gentildonna hingegen war kleinnasig, ihre Züge waren weich, sie gehörte zu den Frauen, die auch in der elegantesten Robe nackt aussehen. Physiognomisch war meine Laura das krasse Gegenstück zu jener Poetin. Dennoch verband sie etwas: die geradezu unerhörte Sicherheit, mit der sie sich selbst vertraten, indem sie ihr wahres Innenleben verhüllten.
Jener Sansovinorahmen mit seinem verhaltenen Reichtum an Ornamentik, den sechs Rosetten, den fast schlichten Voluten, der zurückhaltenden Vergoldung und dem rotbraunen Holzton hielt auf ideale Weise die Balance zwischen Schlichtheit und Prunk.
Ich beglückwünschte mich zu dieser Entdeckung und schickte genaue Bauzeichnungen und Fotografien des Rahmens an eine toskanische Werkstatt, die sich auf die Herstellung von Sansovinorahmen spezialisiert hat. Ich war mir im klaren, daß ich die erheblichen Kosten aus eigener Tasche würde zahlen müssen, falls es mir nicht gelänge, meinen Chef von der Notwendigkeit einer derart aufwendigen Rahmung zu überzeugen.
Obwohl ich mich so in die Arbeit stürzte, ging es mir nicht gut in diesen Wochen. Ich kam sehr herunter. Wenn ich nicht in meiner Werkstatt war, war ich in meinem Zimmer. Ich schlief nur noch stundenweise und saß sonst am Fenster und starrte hinaus. Ich versuchte, Laura in meinen Gedanken entgegenzugehen. Ich wartete auch nachts auf ihren Anruf, denn ich ging davon aus, daß sie mir ihre Rückkehr ankündigen würde. Es war kaum denkbar, daß sie ihr Stipendium aufgeben würde, selbst wenn ihr Mann sie bedrängen sollte.
Ich trank und rauchte zu viel und aß kaum. Es kam bald so weit, daß ich Halluzinationen hatte. Häufig begannen sie damit, daß ich klares Wasser vor mir sah. Es strömte und quoll aus sich selbst hervor in einer Durchsichtigkeit, die etwas Bedrohliches an sich hatte. Ich sah es plötzlich aus dem Teppichboden steigen, oder es sickerte aus den Armlehnen meines Sessels. Mit geschlossenen Augen lag ich zurückgelehnt und badete meine Hände in der kühlen Nässe. Die Bilder wurden immer deutlicher. Wie eine Schlange aus flüssigem Kristall wand sich ein Fluß zwischen grün bemoosten Ufern. Rechts und links ragten unbesteigbare, graue Felswände auf. Je weiter ich den schmalen Pfad stromauf lief, desto enger wurde das Tal. Es war kühl und feucht. Immer stärker wurde ein süßlicher Modergeruch.
Am Ende des Weges, wo die Felswände in spitzem Winkel zusammentrafen, entsprang der Fluß zwischen algenbesetzten Steinbrocken und filzigem Gebüsch. An tausend Stellen quoll kristallklares Wasser aus Spalten und Ritzen. Es waren Nebenquellen. Der eigentliche Ausfluß befand sich oberhalb davon, eine ovale Öffnung, die im Schatten einer halbschalig gewölbten Grotte mit glatten Wänden lag. In ihr stand ein Spiegel klaren Wassers. Seine Oberfläche hob und senkte sich kaum, wie die Brust eines Schläfers. Hiervon ging etwas zugleich Anziehendes und Furchterregendes aus.
Sie werden meinen, Madame und Monsieur, daß diese Schilderung meiner damaligen Halluzination allzusehr von dem Ort inspiriert wurde, an dem ich sie Ihnen soeben gegeben habe. Doch bin ich mir sicher, daß sich mein Gedächtnis nicht täuscht. Ich träumte damals in der Tat von diesem Ort, vom ‘vallis clausa’, in das sich Petrarca zurückzog, um Laura auf unkörperliche Weise nahe zu sein. Ich hatte damals bereits einiges über sein Leben gelesen und auch Abbildungen dieses Tales gesehen. Daß meine Vision jedoch dermaßen der Wirklichkeit entspricht, konnte ich unmöglich ahnen.
Es war Anfang Februar, als ich nach einer meiner halb durchwachten Nächte, zerschlagen an Kopf und Gliedern, in meine Werkstatt ging, um einige schriftliche Unterlagen zusammenzustellen. Ich sollte an diesem Tag an einer Rundfunkdiskussion über die unterschiedlichen Konzepte amerikanischer und europäischer
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