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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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auf den Auftritt meiner Liebe zu warten schien.
    Als ich zum zweitenmal an diesem Tag ihre Tür öffnete, saß sie am Tisch. Der Ofen brannte. Zwei Kerzen beleuchteten eine große Schüssel Salat und zwei Gläser Wein.
    Ich nahm wie früher ihr gegenüber Platz. Wir sahen uns an mit jenem Blick von Liebenden, die wissen, daß auch Augen berühren können. Wir hoben die Gläser und stießen an.
    Es dauerte nicht lange, und wir waren uns näher denn je. Selbst die Alltäglichkeiten hatten an Farbe und Formenreichtum gewonnen. Unsere Berührungen waren intensiver geworden. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, daß ihr Mann nicht mehr so weit weg war. Etwas von seiner Person mischte sich ständig ein.
    Phil rief nun fast jeden Tag an. Es war offensichtlich, daß er Angst hatte. Vielleicht war dies der Grund dafür, daß Laura nicht mehr bei mir übernachtete. Wenn sie mit mir schlafen wollte, kam sie zu mir, manchmal frühmorgens, manchmal abends, fast immer unangekündigt. Zuweilen holte sie mich auch. Machte sie eine Konzession an ihre Ehe? Ich begann, sie auszufragen. Obwohl sie meistens ausweichend antwortete, bekam ich nach und nach ein ungefähres Bild ihres Australienaufenthaltes. Es war von Laura retuschiert und enthielt sicher einige Pentimente. Doch der Gesamteindruck schien zu stimmen. Sie hatte ihren Ehebruch gleich zu Anfang gebeichtet. Sie hatte ihn als einmaliges Ereignis dargestellt, das sich nicht fortgesetzt hätte. Schlimme Tage und Nächte waren gekommen. Verletztheit, Schuldgefühle, Heulereien, Liebesbeweise. ‘Dann waren wir wandern’, sagte Laura, ‘wir waren bei den Tasmanischen Teufeln.’ Ich ließ mir erklären, was tasmanische Teufel seien.
    ‘Es gibt sie nur auf Tasmanien. Sie sehen aus wie Ratten, sind aber groß wie Hunde. Es sind Aasfresser. Jedes tote Tier vertilgen sie samt Haut und Knochen in wenigen Minuten mit ihren starken Kiefern. Man hört sie nachts schnauben und husten. Es sind schreckliche Tiere, wahre Teufel. Ich hatte Angst, aber Phil liebt solche Exkursionen.’‘Wie lebt ihr dort’, fragte ich. ‘Wir haben ein großes Haus mit einer weißen Veranda.’
    Ich sah sie vor mir, wie sie auf der Veranda saßen und frühstückten. Laura trug ein helles Sommerkleid. Das Bild machte mich wahnsinnig vor Eifersucht. ‘Du bist lieber bei ihm als bei mir’, brüllte ich. Ich hatte getrunken. ‘Das ist nicht wahr’, sagte sie. ‘Ich habe mich nie so mit jemandem gefühlt wie mit dir.’‘Und warum schläfst du dann mit Phil?’‘Er ist mein Mann. Außerdem liebe ich ihn. Wenn ich diesmal mit ihm zusammen war, habe ich immer dich vor mir gesehen. Dein Gesicht.’‘Das will ich nicht’, schrie ich. ‘Das ist eine Übermalung. Ein doppelter Betrug. An ihm und an mir!’‘Ich habe Angst vor dir, wenn du so betrunken bist’, sagte sie ruhig. ‘Ich kann doch nicht über meine Phantasie bestimmen. Ich kann nicht verhindern, daß ich dich sehe, wenn ich mit Phil schlafe.’ Jedes Wort tat mir weh. ‘Wie soll es weitergehen mit uns’, fragte ich mit einer Verzweiflung in der Stimme, die sie anrührte. ‘Ich weiß es nicht, aber ich werde es bald wissen.’ Bald? Ich glaube nicht, daß Laura den Sinn dieses Wortes kannte.
    Ich gab mehr und mehr meine sozialen Kontakte auf. Selbst Labisch mied ich jetzt. Bis auf die wenigen Stunden der zweiten Nachthälfte, in denen ich in meiner Wohnung, bei laufendem Radio, Schlaf zu finden suchte, waren wir außerhalb meiner Dienstzeit fast ständig zusammen. Wir versuchten, gesünder zu leben, rauchten und tranken weniger.
    Ich arbeitete mit Hochdruck an der Restaurierung der Gentildonna, während Laura Serien von gesichtslosen Haarporträts zeichnete. Es gelang ihr immer besser, imaginäre Strukturen in das weiße Oval ihres Gesichtes zu zaubern.
    Als ich den letzten Firnis auftrug – ich sorgte für eine besonders dicke Schicht, um eventuellen Säureattacken vorzubeugen –, kam der Rahmen an. Er war meisterhaft gearbeitet, und ich beizte ihn rötlichbraun mit einer Nußbeize, die ich selber aus in Salmiak eingelegten frischen Walnußschalen hergestellt hatte.
    Dann kam ein Abend, an dem ich zum erstenmal ein Treffen mit Laura absagte. Sie schien sich nicht zu wundern, sondern eher froh zu sein. ‘Es tut mir gut, mal einen Abend allein zu sein und zu lesen’, sagte sie. ‘Was hast du vor?’‘Ich muß noch arbeiten. Es wird bestimmt spät.’
    Dies stimmte nur halb, denn es ging um weit mehr als um Arbeit. Ich wollte die

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