Lauras Bildnis
Sie hat weder Blätter noch einen Stengel, noch Wurzeln. Nur eine große, fleischrote Blüte, die auf anderen Pflanzen wächst. Ein Schmarotzer. Sie sieht einer Vulva verblüffend ähnlich. Sie strömt einen betäubenden, unangenehmen Geruch aus, der Käfer anlockt. Die kriechen in den roten Schlund der Blüte und sind gefangen. Feine Härchen und ein klebriger Schleim verhindern, daß sie wieder hinauskönnen. Zwei Tage lang krabbeln die Käfer in ihrem Gefängnis umher und befruchten dabei die Blüte, indem sie den Pollenstaub zu den Stempeln tragen. Dann stirbt die Blüte. Sie hat nur zwei Tage gelebt, nun verwelkt sie innerhalb weniger Stunden, und die Käfer können wieder hinaus.
Auch ich fühlte mich gefangen. Als ich mit meinem Klimakoffer auf der Rückreise im Zug saß, wurde mir klar, daß ich nur die Wahl hatte, mich immer tiefer in die Widersprüche und Halbheiten meiner Liebe zu Laura zu verstricken oder aber mich aus eigener Kraft herauszuziehen. Dies führt zu dem alten Münchhausenproblem: Sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen zu wollen bedeutet, daß Ursache und Wirkung, Helfender und Geholfener ein geschlossenes System bilden, in dem sich Kraft und Gegenkraft zu null aufheben.
Die einzige Möglichkeit, mich auf festen Boden zu retten, schien mir meine Arbeit zu sein. Ich begann zu malen, und ich kümmerte mich intensiver denn je um meine offizielle Tätigkeit. Ich hatte schon oft gemalt, aber noch nie mit solcher Entschlossenheit wie jetzt. Ich begann eine Serie von Akten. Ich stellte die Staffelei neben das Bett, legte die Schubertplatte auf und wartete, bis ich Laura vor mir sah. Ich sah deutlich ihren Körper. Bei der Umsetzung meiner Vision auf die Leinwand ging jedoch die Erotik des Motivs verloren. Was ich zustande brachte, war nicht schlecht. Es war jedoch nur kühle Beherrschung der Farben und Flächen.
Erfolgreicher war ich beim Restaurieren. Ich arbeitete nicht nur an der Gentildonna, sondern auch wieder am Stadtprospekt. Ich hatte inzwischen herausgefunden, daß mein Kollege zwar sehr gründlich und präzise arbeitete, daß ihm aber das Gefühl für die Feinheiten der Retusche abging. Er hatte keinen Farbsinn. Nachdem er auf dem Bild den weiten Rock einer daumengroßen Wäscherin ausgebessert hatte, sah der aus, als käme er soeben aus der chemischen Reinigung.
Auf mein Drängen überließ er mir nun all jene Arbeiten am Bild, bei denen es auf die einfühlsame Nuancierung der Pigmente ankam, während ihm die großflächigen Aufgaben wie die Firnisabnahme und der spätere neue Firnisauftrag überlassen blieben.
Nach Dienstschluß blieb ich meistens in meiner Werkstatt und widmete mich der Gentildonna. Dies fiel mir nicht leicht, da ich auf Lauras Anruf wartete. Aber ich entschied mich für die Hälfte der Person, die mir physisch näher war.
Bislang war ich bei der Restaurierung der Gentildonna sehr unsystematisch und emotional vorgegangen. Nun zwang ich mich, Firnisabnahme, Retusche und konservatorische Maßnahmen so auszuführen, wie es dem Ethos meines Berufs entspricht. Der Riß im Holzträger hatte sich inzwischen erweitert. Ich beschloß, die Gentildonna der Folterung durch die Dröhnerorgel zu unterziehen. Sie sah schrecklich aus als Beute dieses Polypen. Mit dem Finger tastete ich die Ränder des Risses ab, und wie ein Liebhaber fühlte ich die kleinsten Unebenheiten auf der empfindlichen Haut meiner Geliebten.
Als der Leim getrocknet war und ich die Schraubzwingen löste, zeigte sich, daß ich perfekt gearbeitet hatte. Ich mußte nur wenig an der Malschicht korrigieren, um den Eindruck einer vollkommenen Heilung zu erzeugen.
Unterdessen gab ich den Rahmen in Auftrag. Ich wollte einen Sansovinorahmen aus dem Holz der Zirbelkiefer. Sansovino war ein toskanischer Bildhauer aus dem 15. Jahrhundert, dessen Werkstatt stilprägend für die Gestaltung von Rahmen war. Sie wurden schon damals aus der in den Alpen wachsenden Zirbelkiefer geschnitzt. Das Holz dieses Baumes ist ideal, denn es besitzt genug Härte und Stabilität und ist zugleich leicht genug, mit dem Messer bearbeitet zu werden. Rahmen sind mehr als eine optische Begrenzung der Leinwand oder Bildtafel. Sie sollten immer in einer Art Liebesverhältnis zum Bild stehen. Man kann Bilder durch eine falsche Rahmung stark beeinträchtigen. Wilde Barockrahmen können die Klarheit einer Komposition förmlich überfluten, ebenso kann das Understatement zu schlichter Rahmung eine Wirkung provozieren, die die Malerei von
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