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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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damit ich sie vom Flughafen abholen konnte. Stunden vor Ankunft des Fluges war ich dort. Das Auf- und Zuschnappen der automatischen Tür, durch die die Passagiere von der Paßkontrolle kamen, glich der Bewegung einer Guillotine, die jedesmal das Leben von Minuten des Wartens beendete.
    Schließlich sah ich Laura.
    Sie überragte die meisten der Ankömmlinge. Wir fielen uns in die Arme. Es war ein Gefühl wie auf dem Kettenkarussell.
    Da Laura keine Wohnung mehr hatte, zog sie zu mir. Tagsüber ging sie in die Kunsthochschule zum Arbeiten. Wir waren sehr verliebt und sehr verheiratet. ‘Nun ist doch noch alles gut geworden’, sagte ich mir eines Abends, als ich mit einem liebevoll gekochten Essen auf Laura wartete. Ich lächelte vermutlich dabei, wie nur Schwachsinnige lächeln können. Am gleichen Abend eröffnete mir Laura, daß ihr Mann nächste Woche käme. Er habe in der Hochschule angerufen. Sie könne es ihm nicht verweigern. Es sei schließlich ihr Mann. ‘Ich habe ihm beim letzten Mal alles erzählt. Er weiß nun über uns Bescheid. Er hat mir verziehen. Er hat versprochen, sich zu ändern. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Vielleicht ist es ein Fehler, daß er kommt.’ Ich aß keinen Bissen. Mir war schlecht. Laura war liebevoll. Sie war mütterlich. ‘So könnte es ewig weitergehen’, sagte sie.
    Drei Tage später verschwand sie mit einem großen Koffer. ‘Ich rufe dich an. Ich komm' vorbei’, sagte sie. ‘Phil muß das akzeptieren.’‘Wo wollt ihr wohnen?’‘Ich kann das Appartement eines Kommilitonen haben, für ein paar Wochen. Es ist winzig, aber es wird gehen.’
    ,Jeder Satz war ein vergifteter Dolch. ‘Ist das Bett auch groß genug?’‘Es gibt zwei Betten, mein Lieber.’
    Ich sah ihr vom Fenster aus nach, wie sie wie immer sehr aufrecht davonschritt. Dann legte ich die Platte auf. ‘Tränen fließen gar so süß, erleichtern mir das Herz.’ Diesmal empfand ich die Zeile als Hohn.
    Laura machte ihr Versprechen wahr. Sie rief jeden Tag an oder kam für ein, zwei Stunden vorbei. Manchmal schlief sie mit mir. Sie weinte viel. ‘Er will es nicht einsehen, daß es aus ist. Ich kann ihn doch nicht wegjagen wie einen Hund.’‘Kann ich mit ihm reden?’‘Er will dich nicht sehen. Ich darf nicht mal deinen Namen erwähnen. Er würde dich totschlagen. Dafür gehe ich gerne ins Gefängnis, hat er gesagt.’‘Wo wohnt ihr?’‘In der Gegend, die du ‘Australien’ nennst. Es ist ziemlich deprimierend. So klein. Man sieht nur auf Brandmauern.’
    Ich begann, meine Wanderungen durch diesen Stadtteil wiederaufzunehmen. Ich hoffte, Laura und Phil zu begegnen. Manchmal ging ich während der Dienstzeit los, manchmal schon vor Morgengrauen, weil ich nicht schlafen konnte. Ich blieb an Trinkhallen stehen, trank Bier und Schnaps an zugigen Ecken und beobachtete Menschen. Ich kannte schließlich jeden Bordstein, jede Fassade, jeden Baum dieser Gegend, ohne daß sich an ihrer Fremdheit auch nur das geringste änderte. Es war wie in einem Alptraum, in dem sich lauter bekannte Details zu einem Labyrinth des Unbekannten fügen.
    Laura stellte das Leben mit Phil in düsteren Farben dar. ‘Er sitzt die ganze Zeit da, trinkt und hält mich vom Arbeiten ab.’ Ich war nur zu bereit, ihr Glauben zu schenken. Ich bat sie um die Telefonnummer der Wohnung, aber vergeblich. ‘Es ist ein Anrufbeantworter. Ich kann nicht damit umgehen.’ O Laura, dachte ich, bist du eine Ausrede auf das Leben oder auf den Tod?
    Einmal kam sie ungewöhnlich früh am Morgen zu mir. Sie setzte sich auf den Rand meines Bettes und sagte. ‘Wir schlafen wieder zusammen.’ Im ersten Moment bezog ich die Äußerung auf uns. Erst gestern abend hatten wir uns geliebt. Dann begriff ich. Heiße Wut kam über mich. Ich sprang aus dem Bett und packte ein Messer. Mit einem einzigen blinden Schwung der Klinge schlitzte ich ihren Leib auf vom Hals bis zum Bauch. Die Leinwand klaffte. Es war das Aktbild, das immer noch auf der Staffelei stand.
    Laura setzte sich in den Sessel. Sie war ganz ruhig, während ich hysterisch zu weinen begann. ‘Schade um das Bild’, sagte sie. ‘Es war dumm von mir, dir das zu sagen. Aber ich will, daß es wenigstens zwischen uns ehrlich bleibt.’
    Wieder einmal ging sie als Siegerin. Ich blieb zurück, betrank mich und versäumte meinen Dienst. Ich kam noch mehr herunter.
    Mir entging nicht, daß man mich im Institut zu meiden begann oder mir besorgte Blicke schenkte. Ich hatte Ausfälle bei der Arbeit.

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