Lauras Bildnis
Reisebüro und buchte nach Avignon um. Alles Geld tauschte ich in französische Währung um. Dann fuhr ich zum Flughafen.
Am Abend desselben Tages kam ich hier an, in Fontaine de Vaucluse. Ich suchte ein Zimmer. In der Bar Tabac fragte ich nach einer Adresse. Zufällig geriet ich dabei an Sie, Monsieur, und Sie verwiesen mich an Sie, Madame.
Sie kennen jetzt meine Geschichte oder das, was ich für wichtig an ihr halte. Es hat mir gutgetan, mich erleichtert, davon zu reden.«
Francesco erhob sich erschöpft.
Die beiden hakten sich rechts und links bei ihm ein. So gingen sie zurück in den Ort, am Ufer der Sorgue entlang. Die Nacht war schön, und man hörte deutlich die Frösche und Zikaden und das Murmeln des klaren Wassers. »Ob klares Wasser anders klingt als trübes?« dachte Francesco.
»Wir sehen uns morgen in der Bar«, sagte Monsieur Bazin, als sie sich vor der Tür seines Hauses trennten. »Ich denke, ich kann Ihnen einiges erklären.«
Als Francesco in seinem Zimmer war, fühlte er sich zum erstenmal seit langer Zeit müde und entspannt. Er ging zu Bett und starrte den Frauenkopf mit den Zeigern an. Sie schienen sich endlich normal zu bewegen. Nicht zu langsam, nicht zu schnell.
Es hatte vielleicht schon eine Weile geklopft, ehe er das Geräusch wahrnahm und darauf reagierte. Er stand auf und öffnete. Madame Régusse erschien mit einem Tablett und zwei großen Gläsern Pastis, 51er, den er am liebsten mochte. »Legen Sie sich nur wieder hin«, sagte Madame Régusse. Er schlüpfte unter die Decke, und sie setzte sich auf den Bettrand, so wie Laura es oft getan hatte. Sie hoben die Gläser und stießen an. Schweigend leerten sie sie. Dann sagte Madame Régusse: »Sie sind nicht zu beneiden, aber auch nicht zu bedauern, Francesco. Denn wem wird schon eine Liebesgeschichte zuteil.« Dann fuhr sie ihm übers Haar, nahm Gläser und Tablett und verschwand mit einem Lächeln, das er noch vor sich sah, als die Tür bereits ins Schloß gefallen war.
III. Acedia
Das Knabenalter schwindet, die Knabenart bleibt zurück.« Monsieur Bazin ließ sich diesen Satz auf der Zunge zergehen. Sie saßen im gläsernen Vorraum der Bar zwischen lauter dominospielenden Einheimischen und tranken Pastis. Draußen, auf dem von Platanen beschatteten Platz, strömten die Besucher vorbei auf dem Weg zur Quelle der Sorgue.
Bazin hatte sich feingemacht. Er trug einen hellen Anzug mit überdimensionalem Revers. Statt seiner Baskenmütze hatte er einen hellen Strohhut dabei, der auf dem leeren Stuhl neben ihm lag. Bazin sah aus wie ein alt gewordener Dorfcasanova. Und noch etwas war verändert: Er duzte sein Gegenüber. Francesco freute sich darüber.
Bazin beugte sich vor und senkte die Stimme: »‘Das Knabenalter schwindet, die Knabenart bleibt zurück’. Dieser kluge Satz ist leider nicht von mir. Es ist ein Zitat. Niemand anderes als der große Petrarca gebraucht ihn in einem seiner Dialoge. Fürwahr, er hatte einen klaren Blick für seine eigenen Krankheiten. Es gab deren mindestens zwei. Die eine ist diese lebenslängliche Sucht, aus dem Unglück etwas zu ziehen, das er ‘die falsche Süßigkeit’ nennt. Leiden war für ihn das, was der Nektar für die Biene ist. Er sammelte ihn und machte daraus den Honig seiner Gedichte. Die andere Krankheit ist die lebenslängliche Unfähigkeit, sein körperliches und sein seelisches Alter in Einklang miteinander zu bringen. Kurz gesagt: Petrarca litt an Senilojuvenilismus. Ich habe mir erlaubt, der Krankheit diesen wissenschaftlichen Namen zu geben. Bei von ihr Befallenen tritt die Knabenart um so deutlicher hervor, je älter sie werden. Du kennst diesen mageren, ledrigen Typ mit den flackernden Augen, Francesco. So haben wir uns den Meister vorzustellen.«
Francesco mußte lächeln, denn Bazin zeichnete sich selbst mit großer Treffsicherheit. »Am Ende sind es Greise mit einem Kindergemüt und einem mumifizierten Körper«, fuhr Bazin fort. »Ich denke mir nun, und das scheint mir ein nicht unwichtiger Gedanke zu sein, unsere beiden Krankheiten hängen zusammen. Vermutlich wirkt die perverse Fähigkeit, aus Leiden Lust zu ziehen, wie ein Jungbrunnen. Gewiß, sie bekommen graue Haare und eine faltige Haut, aber Seele und Gefühl sind am Ende glatt und seidig wie die Haut eines Neugeborenen.« Bazin trank, schnalzte mit der Zunge und ließ seinen Blick lange auf seinem Gegenüber ruhen. Dann sagte er mit leicht erhobener Stimme: »Du, lieber Francesco, teilst diese beiden Krankheiten
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