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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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Meine Hände zitterten zu sehr für feinste Detailarbeiten. Mein Schweizer Kollege versuchte, mich in Gespräche zu ziehen. ‘Kann ich Ihnen irgendwie helfen?’ fragte er in seinem grauenhaften Akzent. Ich verließ den Raum. Mehr und mehr gewöhnte ich mir diese Reaktion an. Sobald mir jemand zu nahe kam, ging ich ohne Begründung.
    Auch Labisch versuchte es mit mir. ‘Mir scheint, Sie haben sich da ein wenig verrannt’, sagte er. ‘Sie sollten einfach wieder mehr leben.’‘Wenn ich dann noch lebe’, sagte ich und ging. Sieben Wochen später stand Laura mit ihrem Koffer vor meiner Tür. ‘Phil ist fort’, sagte sie. ‘Es war ein hartes Stück Arbeit.’
    ‘Was willst du jetzt tun?’ fragte ich. ‘Mit dir leben. Ich werde mich erst um eine Arbeit kümmern. Und dann um eine Wohnung. Ich bin mir jetzt sicher, daß ich mit dir leben will.’ Wieder glaubte ich Laura aufs Wort.
    Unsere Idylle dauerte vier Wochen. Laura verstand es nach wie vor meisterhaft, bei allen Schwierigkeiten mit mir kleine Inseln des Glücks zu bewohnen. Vielleicht war das eines der Geheimnisse ihrer Wirkung auf mich. Ich kam nie dazu, in einer Stimmung zu bleiben. Immer kippte etwas um, ein Gefühl, ein Glas, ein Moment, die Bedeutung eines Wortes. Dann eröffnete mir Laura, daß sie noch einmal nach Australien müsse, um ihre Sachen zu holen, dort alles aufzulösen, die Konten, die Verträge. Die Scheidung einleiten. Sie fuhr, und ich hörte nichts mehr von ihr. Sie rief auch nicht an. Mir blieben nur ihre Kleider, auf die ich überall stieß, wenn ich einen Schrank öffnete oder eine Schublade. Auf meinem Nachttisch stand ein Paar Schuhe von ihr.
    Diesmal vergingen Monate.
    Die Qual des Wartens war so groß, daß ich Kunstgriffe anwandte, um sie zu lindern. So hatte ich es mir angewöhnt, immer den kommenden Tag für den heutigen zu halten. Wenn Donnerstag war, war für mich Freitag. So blieb ich im Sog des Zeitvergehens. Ich trug die falschen Daten auch auf meinen Protokollen ein. Man kann fast sagen, daß ich ein wenig besser zu funktionieren begann, seit mein Wahnsinn sich perfektionierte. Allerdings benahm ich mich für einen Restaurator nach wie vor reichlich seltsam. So war ich oft im Neubau und vertrieb Betrachter, die sich vor der Gentildonna eingefunden hatten.
    Dann machte ich einen verzweifelten Schritt. Ich überwand mich und rief Lauras Eltern an. ‘Wichtige Post für Ihre Tochter ist angekommen’, log ich. ‘Wir von der Kunstschule brauchen ihre Adresse.’
    Sie sei in Tasmanien, hieß es. Wo genau, wisse er nicht, meinte Lauras Vater. Wahrscheinlich in Hobart, der Hauptstadt. Sie wollten wohl von dort aus eine Wanderung machen. ‘Zu den Tasmanischen Teufeln’, dachte ich. ‘Ich bin auch ein tasmanischer Teufel.’ Wie unter einem posthypnotischen Auftrag ging ich zur Bank und hob all mein Geld ab. Ich wechselte es in Travellerschecks, in australische Pfund, und ich kaufte ein Flugticket.
    So stark hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt, selbst mein Gang veränderte sich. Abends rief ich Labisch an und bat ihn, dem Chef und den Kollegen mitzuteilen, daß ich wegen eines Trauerfalles dringend verreisen müßte. Ich würde mich melden. ‘Wenn Sie dann noch leben’, sagte er und lachte.
    Dann saß ich in meinem Sessel. Ich war so aufgeregt, daß ich unmöglich schlafen konnte. Gegen zwei Uhr morgens klingelte das Telefon. Ich hörte es klicken, dann Lauras Stimme. ‘Wie geht es dir? Ich komme bald’, sagte sie. ‘Ich denke jede Sekunde an dich.’‘Ich fliege morgen nach Tasmanien. Wo kann ich dich finden?’ Laura schwieg. Die Entfernung rauschte in zahllosen Wellen an mein Ohr. Dann sagte sie: ‘Bitte komm nicht. Es hat keinen Sinn. Ich bin fast schon auf der Rückreise. Ich meld' mich wieder. Bis bald, mein Lieber.’
    Mein Lieber sagte sie immer, wenn sie ihre Gefühle zu mir besonders rein und ehrlich ausdrücken wollte.
    Ich kam mir vor wie ein Segelschiff ohne Wind. Nun trieb ich steuerlos in meinem Zimmer. Auch wenn ich sie nicht in Hobart oder Tasmanien gefunden hätte, ich wäre in Bewegung gewesen, und zwar in der richtigen Richtung. Nun hatte ich mich hoffnungslos verfangen. Was sollte ich noch ernst nehmen! Es entsteht keine Wahrheit, wenn eine Lüge sich als Lüge entpuppt. Meine Welt der Oxymora brach zusammen. Wo waren die Gegensätze, wo war heiß und kalt, wo Tod und Leben, wo Nähe, wo Ferne? Ich entsinne mich, daß ich Mühe hatte, mein Glas zu halten.
    Um neun Uhr war ich im

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