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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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Farben im Wind des Zeitgeistes dahinglitt, und uns verglich er mit seiner Mannschaft, wobei er mir die Rolle des zweiten Offiziers zuwies. Der zweite Offizier ist bekanntlich der Arzt an Bord, zuständig für die Blessuren der Mannschaft.
    Dann gab es Sekt, und alle strömten in die Ausstellung. Die Gentildonna hing in der Eingangshalle neben dem restaurierten Stadtprospekt. Zweifellos erregte sie Aufsehen, und mehr als das. Ich beobachtete das Publikum von einer Marmorsäule aus, die mich halb verbarg. Es war wie damals in der Kirche, als ich Laura zum erstenmal gesehen hatte. Nur waren diesmal viele Beobachter da, und sie blickten lüstern auf ihre Reize, auf ihre Schönheit, deren Wesen ich plötzlich unter dem Blick all dieser Spanner begriff.
    Laura war nicht eigentlich schön, sie war jedoch auf eine Weise anziehend, die die Wirkung bloßen Ebenmaßes bei weitem übertrifft. Es ist wohl eine Frage der Bewegung, der Mimik, der kleinen Unstimmigkeiten in den Proportionen, der Stimme, des Blicks. Ach, all dies reicht nicht aus als Erklärung.
    Frauen, die mit dieser Aura der Nacktheit versehen sind, haben es schwer. Sie erregen die Besitzgier der Männer und zuweilen auch der Frauen. Sie sind Objekt einer Lüsternheit, die Menschen haben, denen es an eigenem Leben fehlt.
    Ich beobachtete, wie die Männer vor dem Bild der Gentildonna verharrten, wie Finger nach ihr tasteten. Ja, man betatschte sie, mit den Augen und sogar mit den Händen.
    Ich hatte darauf bestanden, die Gentildonna nicht hinter Glas einzusperren. Der Gedanke war mir unerträglich, daß ihre Lippen sich an eine Glasscheibe pressen müßten. Um die Gefahren eines Säureattentats zu verringern, hatte ich, wie gesagt, das Bild mit einem extra dicken Firnis versehen. Auch gegen Berührungen mit menschlicher Haut, die mit einem leicht ätzenden Film bedeckt ist, bot dieser Überzug aus mehreren Lagen Dammafirnis genügend Schutz.
    Doch jetzt sah ich, daß dergleichen mechanische und chemische Attacken nicht die einzige Bedrohung für meine Dame waren. Es waren viel mehr die Blicke selbst, die voyeuristischen Phantasien, denen die Gentildonna in der Öffentlichkeit unweigerlich ausgesetzt war. Und ich erkannte, daß es ein Fehler gewesen war, sie herzugeben. Sie hätte im Depot oder in meiner Werkstatt bleiben müssen.
    Doch nun war es zu spät. Sie war inzwischen eine Attraktion des Museums. Die Fachleute waren sich einig über die hervorragende Qualität des Bildes und meiner Restaurierung.
    Am Tag nach der Eröffnung des Neubauflügels nahm ich Urlaub. Da ich nach der Fertigstellung der Stadtansicht nicht mehr viel zu tun hatte, gewährte man ihn mir. Außerdem würde der Zweitrestaurator als Urlaubsvertretung bleiben. Ich fuhr nach Südfrankreich mit der Einstellung eines Fremden, der diese Landschaft für ein typisches Reiseziel für Maler hält. Ich mietete mich ein und ging jeden Tag mit meiner Reisestaffelei in die Felder. Ich brachte nichts zustande. Das Licht der Provence ist keineswegs so, daß es einem den Pinsel führt.
    Im Grunde verwartete ich meine Zeit in den Bars. Jeden Tag rief ich in Lauras Wohnung an, in der Hoffnung, daß sie inzwischen zurück sei. Schließlich fuhr ich. Laura kam einen Tag nach mir aus Australien zurück.
    Wir nahmen unser altes Leben wieder auf. Es gab so viel Vertrautsein, gemischt mit so viel tagtäglich Neuem, daß ich wieder an mein Glück zu glauben begann.
    Doch in Wahrheit war nichts geschehen. Laura hatte sich nicht entschieden. Vielleicht wußte sie innerlich überhaupt nicht, was eine Entscheidung ist.
    Wir verlebten einen schönen Sommer, machten kleine Reisen, gaben uns wie ein frisch verheiratetes Paar. Ich hätte zufrieden sein müssen, wenn ich fähig gewesen wäre, mir den Wunsch zu verbieten, Laura ganz besitzen zu wollen.
    Als das Stipendium abgelaufen war, fuhr meine Freundin nach Australien zurück. Ihre Sachen, Bilder, Kleidung, die Staffelei, Bücher, stellte sie bei mir unter. ‘Ich komme wieder’, sagte sie, ‘ich werde dich einfach nicht los.’ Sie machte ihr Versprechen wahr.
    Sechs Wochen lang hatte ich nichts mehr von ihr gehört. Ich war betäubt von der Situation. Ich war verrückt bis zur Schmerzunempfindlichkeit.
    Ich frage Sie, Monsieur Bazin, gibt es einen Namen für diese Krankheit? Sie, Madame, wage ich nicht zu fragen, da ich vermute, daß sie Frauen nicht oder jedenfalls nicht in dieser Intensität befällt.
    Eines Tages rief Laura an und gab mir die Flugnummer durch,

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