Lauras Bildnis
mit deinem Namensvetter. Was dir jedoch noch fehlt, ist sein Einverständnis mit den Bedingungen, die sich daraus für das wirkliche Leben ergeben.«
Bazin legte seine Hand auf Francescos Unterarm.
Der Druck war fest und, wie diesem schien, liebevoll und ermahnend zugleich. »Du muß es noch lernen, Francesco. Du mußt dich zu deinem Senilojuvenilismus bekennen. Ich bin überzeugt, genau diese Disposition ist es, die dich für deine Laura anziehend machte. Warum stürzte sie dich unentwegt in diese schmerzlichen Wechselbäder? Sie wollte dich so, wie du immer noch nicht ausreichend bist. Übrigens seid ihr beiden euch noch in einer dritten Krankheit ähnlich, du und Petrarca. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob sie mit den beiden anderen im Zusammenhang steht. Es gibt Hinweise darauf. So ist die Acedia ebenfalls eine Krankheit, die durch nichts geheilt werden kann. Wen sie einmal befallen hat, den verläßt sie nie. Petrarca befiel sie schon als Jüngling. Im Laufe des Lebens wird die Acedia immer schlimmer. Schließlich stirbt man an ihr, jedoch erst sehr spät. Leute mit Acedia können sehr alt werden, denn es ist eine Krankheit, die schleichend ist. Sie befällt schließlich das Herz, nachdem sie zuerst den Verstand und dann den Leib befallen hat. Das Herz hört einfach auf zu schlagen. So war es bei Petrarca, so wird es vielleicht auch bei dir sein, mein lieber Francesco, aber bis dahin mußt du noch lange an deiner Acedia leiden. Es ist tröstlich, daß die Acedia ihre eigenen Symptome schwächt.«
Er wollte fragen, was Acedia heißt. Aber er schloß nur die Augen und hörte die Geräusche des Raumes, dieses strömende Gewässer von Klängen, von Ausrufen und Sprachfetzen der Spieler. Es war unerträglich heiß, doch jetzt genoß er diese Hitze. Am liebsten wäre er hier für immer versunken. Jetzt durchdrang wieder die Stimme Bazins den Kneipenlärm.
»Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so oft auf seine Armbanduhr schaut wie du, Francesco. Das ist für den Menschenkenner ein untrügliches Anzeichen von Acedia. Es ist die Despotie des Wartens, nachdem man den Gegenstand seiner Ungeduld vergessen hat. Acedia ist eine besondere Form der Apathie, die erstaunlicherweise mit den Eigenschaften höchster Aufgeregtheit verbunden ist. Man hat das Wort mit Lebensüberdrußübersetzt. Das ist ungenau. Es handelt sich eigentlich sogar um das genaue Gegenteil. Äußerste Lebensgier, besessenes Glücksverlangen. Der Eindruck von Überdruß, von Apathie, entsteht nur dadurch, daß der Patient erkannt hat, daß sein Glücksverlangen prinzipiell unstillbar ist in diesem irdischen Dasein. Er wartet zwar immer noch, aber mit einer Hoffnungslosigkeit, die schließlich die Eigenschaften einer seelischen Lähmung annimmt.«
Francesco öffnete die Augen und sah Monsieur Bazin an. Dieser wirkte geistesabwesend. Er sah zur Decke und schien nur noch mit sich selbst zu reden.
»Als Donna Laura starb, 1348 an der schwarzen Pest, die damals auch in Avignon wütete, war ihr Geliebter fern. Er war vor dieser Geißel der Menschheit nach Italien geflohen. An Acedia Leidende haben einen ausgeprägten Sinn für den Erhalt ihres von ihnen so wenig geschätzten Lebens. Dies gehört auch zu den Oxymora, den Doppelempfindungen, die diese Herrschaften so lieben. Es sind die lebenslustigsten Selbstmordkandidaten, die man sich denken kann.«
Er senkte jetzt den Blick und sah seinem Gegenüber fest in die Augen. »Auch wenn du es nicht vermutest, Francesco, ich weiß, wovon ich rede. Auch ich habe einmal ohne Hoffnung geliebt.«
Er trank hastig sein Glas aus. Francesco schoß ein verhältnismäßig klarer Gedanke durch den Kopf. Er sah sich und Bazin wie aus weiter Ferne in diesem verrauchten und überhitzten Raum sitzen, der eine dramatisch redend, der andere ebenso dramatisch schweigend, und er erkannte, daß sie beide eigentlich nichts anderes waren als einsame alte Spinner, denen das Leben mit der Zeit davonlief und die sich an ihrer unstillbaren Sehnsucht betranken. Bekanntlich setzt man sich, wenn man von einem schnelleren Läufer überholt wird, für einen Moment selber in Bewegung, bis einem die Sinnlosigkeit dieses Reflexes bewußt wird. Dann läßt man sich wieder am Straßenrand nieder und begnügt sich damit, dem anderen nachzusehen.
Bazin stand auf und ging zur Theke. Vielleicht lag es an seinem Anzug, daß er sich jugendlicher bewegte als sonst. Er hielt sich sehr gerade, als er mit zwei neuen Gläsern Pastis
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