Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
selbst nicht einmal in Gedanken von einander trennen kann (obschon man dies in der Praxis häufig versucht hat), ohne beide zu zerbrechen und zu zerstören.«
Ich sagte, man habe es oft versucht, und so ist es auch: – es ist nichts Ungewöhnliches einen Mann zu finden. der durchaus keinen Sinn für Religion hat und auch wirklich so ehrlich ist, keinen Anspruch darauf zu machen, der es aber für die tödlichste Beleidigung ansehen würde, wenn man seinen moralischen Charakter auch nur mit einem Verdacht antasten – oder denken wollte, er sei nicht im höchsten Grade gewissenhaft und rechtschaffen.
Wenn es wirklich den Anschein hat, als ob es so sei – obwohl man nicht gerne das Vorhandensein einer so liebenswürdigen Tugend wie sittliche Rechtschaffenheit ist, in einem solchen Falle annimmt, so würden wir, das bin ich überzeugt, wenn wir ihren Gründen nachforschen wollten, doch wenig Ursache haben, einen solchen Mann um die Ehre seiner Beweggründe zu beneiden.
Wenn er auch noch so großartig über die Sache spricht, so wird man doch leicht wahrnehmen, dass die Grundlagen seiner Handlungen aus Interesse, Stolz, Bequemlichkeit oder irgend einer anderen kleinen veränderlichen Leidenschaft bestehen, die uns keine große Bürgschaft dafür gewährt, dass seine Handlungen auch in schweren Nöten Farbe halten werden.
Ich will dies durch ein Beispiel erläutern.
Ich weiß, dass der Bankier, mit dem ich Geschäfte mache, oder der Arzt, den ich für gewöhnlich berufe – (Sie brauchen für den heutigen Fall keinen weiteren Arzt zu berufen, sagte Dr. Slop, der eben aufwachte) – beide nicht viel Religion haben – ich höre, wie sie sich täglich darüber lustig machen und alle heilige Handlungen so spöttisch behandeln, dass hierüber kein Zweifel sein kann. Nun gut – trotzdem vertraue ich dem Einen mein Vermögen an, – und was mir noch teurer ist, mein Leben der treuen Geschicklichkeit des Andern.
Prüfen wir nun, weshalb ich ein so großes Vertrauen habe. In erster Linie ist es nicht wahrscheinlich, dass der Eine oder der Andere die Macht, die ich in seine Hände lege, zu meinem Nachteil missbrauchen werde – ich ziehe dabei in Betracht, dass Redlichkeit überhaupt den irdischen Zwecken diene. Ich weiß, dass das Gedeihen jener Herren wesentlich auf der Gediegenheit ihres Charakters beruht. Mit einem Wort, ich bin überzeugt, dass sie mir nicht schaden können, ohne sich selbst noch mehr zu schaden.
Nehmen wir nun aber das Gegenteil an, nämlich dass das Interesse einmal ganz auf der anderen Seite liege, dass ein Fall eintreten könne, wo der Eine, ohne dass sein Ruf befleckt würde, mich um mein Vermögen bringen, mich völlig ausziehen könne; – oder wo der Andere mich aus der Welt schaffen und durch meinen Tod ohne Schädigung seiner selbst oder seiner Kunst sich bereichern könne; – woran kann ich mich in einem solchen Falle halten? – Die Religion, der stärkste aller Beweggründe, bleibt aus dem Spiel, – das Interesse, der mächtigste Hebel dieser Welt, ist ganz gegen mich. – Was kann ich noch in die andere Waagschale werfen, um diese Versuchung im Gleichgewicht zu halten? – Ach es bleibt mir nichts – nichts oder etwas was leichter ist als eine Seifenblase – ich muss mich auf das Ehrgefühl oder sonst eine launenhafte Empfindung verlassen – eine saubere Sicherheit für zwei der wertvollsten Güter – mein Vermögen und mein Leben.
Da somit auf Sittlichkeit ohne Religiosität kein Verlass ist; – so ist andererseits auch von Religiosität ohne Sittlichkeit nichts Besseres zu erhoffen; gleichwohl ist es nichts so Seltenes, dass man einen Mann sieht, dessen moralischer Charakter einen sehr niedern Standpunkt einnimmt und der doch in Sachen der Religiosität einen sehr hohen Begriff von sich hat.
Er ist vielleicht nicht nur habsüchtig, rachsüchtig, unversöhnlich, – sondern es fehlt ihm sogar an der ganz gewöhnlichen Rechtschaffenheit; aber wenn er nur recht laut gegen den Unglauben der Zeit declamiert, – in gewissen religiösen Dingen Eifer an den Tag legt, – täglich zwei Mal in die Kirche geht, – den Sacramenten anwohnt, – und sich mit einigen nebensächlichen Teilen der Religion abgibt, – so wird er sein Gewissen leicht in die Ansicht hineinhetzen, dass er ein wirklich religiöser Mensch sei und seine Pflicht gegen Gott in Wahrheit erfüllt habe, und man wird finden, dass ein solcher Mann kraft dieser Selbsttäuschung mit einem gewissen geistlichen Hochmut auf
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