Laurins Vermächtnis (German Edition)
deutschen Diktator und der 25 Jahre jüngeren englischen Adeligen entwickelte sich eine Wahlverwandtschaft. Bald gehörte Unity Mitford zur Haute Volée des NS-Regimes. Hitler nahm sie mit in die Oper, auf Parteiveranstaltungen oder auf Reisen. Hitlers Adjutanten nannten die junge Dame irgendwann nicht mehr „Mitford“, sondern „Mitfahrt“. Ihren Schwestern schrieb Unity regelmäßig über die Treffen mit ihrem Helden, so zum Beispiel am 29. März 1939: „Hatte Lunch mit dem Führer am Sonntag und Montag, und an beiden Tagen war er in seiner allerliebsten Laune, hielt mir die meiste Zeit über die Hand, sah ganz süß drein und sagte: ‚Mein Kind!‘, in dieser seiner sympathischen Art; es tue ihm leid, dass England und Deutschland so verfeindet seien. Aber eigentlich hatte er nichts als wunderbare Dinge über England vorzutragen und schenkte mir wieder einmal vollkommen den Glauben, zurück, dass am Ende alles gut werde.“
Die Beziehung zwischen der englischen Adelstochter und dem deutschen Diktator endete tragisch. Am Sonntag, den 3. September 1939, erhielt Unity Mitford in ihrer Wohnung in München-Schwabing die Mitteilung, im britischen Konsulat liege ein Telegramm für sie. Es war die Nachricht von der britischen Kriegserklärung an Deutschland. Für die Frau, die mit Hitler über die Jahre immer und immer wieder über das besondere Verhältnis der beiden Länder, gar eine mögliche Waffenbrüderschaft, gesprochen hatte, brach eine Welt zusammen. Sie schrieb einen Abschiedsbrief an ihre Eltern. Danach suchte sie den Münchner Gauleiter Wagner auf und übergab ihm ein Päckchen mit dem goldenen NSDAP-Abzeichen, dass Hitler ihr geschenkt hatte, und ein von diesem signiertes Foto im Silberrahmen. Anschließend ging sie in den Englischen Garten, setzte sich auf eine Parkbank und schoss sich mit einer Pistole in die Schläfe. Doch das Drama war damit noch nicht zu Ende. Unity Mitford überlebte den Selbstmordversuch, die Kugel blieb im Kopf stecken. Sie wurde in ein Krankenhaus gebracht, doch die Ärzte wagten nicht, die Kugel zu entfernen; zu groß war die Gefahr, dass ihre Patientin bei dem Eingriff sterben würde. Einmal noch besuchte Hitler in der Klinik seine Muse. Anfang 1940 sorgte er dafür, dass Unity Mitford in die neutrale Schweiz verlegt wurde. Von dort brachte sie ihre Familie zurück nach England. Ironie der Geschichte: Unity Mitford überlebte ihr Idol um mehr als drei Jahre. Am 28. Mai 1948 starb sie im schottischen Oban an den Spätfolgen ihres Selbstmordversuches.
Ihre Tochter Vanessa Mitford war wenige Tage zuvor acht Jahre alt geworden.
Die Existenz dieses Kindes hat vor allem britische Medien immer wieder zu Spekulationen bewogen, das Verhältnis zwischen Unity Mitford und Adolf Hitler könnte ein nicht nur platonisches gewesen sein. Man stelle sich vor: In Frankreich lebe eine ältere Dame, die Adolf Hitlers Tochter sei.
Doch solche Spekulationen waren schon immer Makulatur. Die Identität des Mannes, dessen Tochter Unity Mitford am 20. Mai 1940 in London zur Welt brachte, ist hinreichend geklärt: Sein Name ist William Joyce, 1906 in New York als Sohn eines irischen Vaters und einer englischen Mutter geboren, dadurch also Amerikaner. Als Kind ging er mit seinen Eltern nach Irland, als Jugendlicher nach England. Dort erschlich er sich einen britischen Pass, was ihm nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum Verhängnis werden sollte. In England engagierte sich Joyce bald politisch und tat sich als Antisemit und Antikommunist hervor. 1932 schloss er sich der British Union of Fascists von Oswald Mosley an - und Mosley war es auch, der später Joyce mit seiner Schwägerin Unity Mitford bekannt machte. Obwohl Joyce verheiratet war, riss sein Kontakt zu der jungen Aristokratin nie ab. Eine Seelenverwandtschaft schien sie zu verbinden. Beide waren glühende Faschisten, beide waren auf ihre Art Nonkonformisten und Kosmopoliten und beide waren germanophil. Wobei Unitys Hang zu Deutschland romantisch und naiv-politisch war, der von Joyce dagegen eher pragmatisch. Als sich die weltpolitische Lage im Sommer 1939 zuspitzte, wurde es auf der Insel eng für die britischen Faschisten. Der drohenden Internierung entzog sich Joyce, indem er nach Deutschland ging. In Berlin traf er Unity Mitford wieder. Und dort gab er ihr, was Hitler ihr nicht geben wollte oder konnte. Es ist nicht sicher, ob er je erfahren hat, dass er eine Tochter hatte - das Ergebnis jenes Berliner Treffens im Sommer 1939. Seine
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