Laurins Vermächtnis (German Edition)
Nägeln, mein Leben geht aus dem Leim.“
„Ja eben“, sagte Greta. „Meinst Du nicht, jetzt ist der beste Zeitpunkt, die Dinge nicht mehr hinzunehmen, sondern aufzustehen? Es gibt niemanden, auf den wir Rücksicht nehmen müssten und wir haben keine finanziellen Sorgen. Wir können den Faschisten, Rassisten, den Schreibtischtätern und Rattenfängern entgegentreten.“
Matthias schaute seine Freundin ungläubig an.
„Was redest Du denn da? Was stellst Du Dir denn vor?“
„Was weiß ich?“ Greta sprudelte jetzt förmlich über. „Lass’ uns eine Zeitung gründen, einen Verlag, Bücher schreiben, eine Partei ins Leben rufen, Kabarett aufführen, Lieder singen – irgendwas. Alles ist besser, als diesen Leuten die Bühne zu überlassen.“
„Okaaay“, sagte Matthias wie zu einem Pferd, das beruhigt werden muss. „Wenn Du willst, werden wir da mal in aller Ruhe drüber reden, aber jetzt ...“
„Jetzt fängt’s doch vielleicht schon an. Stell Dir vor, wir ... also Du ... findest tatsächlich was von dem „Material“, das die SS-Leute bei Deinem Großvater deponiert haben. Das ist historisches Material. Damit kann man arbeiten.“
„Oh Mann!“ Matthias raufte sich die Haare. „Du bist schlimmer als zwei rollende Kanonenkugeln! Können wir jetzt bitte, ganz planmäßig und besonnen eins nach dem anderen machen? Und dann sehen wir weiter. Einen Schritt nach dem anderen – einen! – hörst Du?“
„Aber ...“
„Und ganz grundsätzlich: Ich werde nichts machen, was den Ruf meines Großvaters in den Dreck zieht. Auch Du musst Dir gut überlegen, was Du tust und wie Du es tust. Stell Dir doch mal vor, wie irgendwelche, nennen wir sie: antifaschistischen – Aktionen aufgefasst werden könnten. Vielleicht werden die Leute sagen, das sei kein altruistisches Engagement für eine bessere Gesellschaft, sondern eine Art privater Psychotherapie, mit der Du Deine Familiengeschichte verarbeiten willst. Außerdem – sei mir nicht böse – „Zeitung, Verlag, Partei, Kabarett“ – das ist doch Ideen-Konfetti. Sagen wir, es ist unausgegoren, vielleicht auch etwas naiv.“
Greta war sauer. Sie konnte die abgeklärte Attitüde nicht ausstehen, die Matthias manchmal an den Tag legte, wenn sie ihre Gedanken einfach so heraussprudeln ließ, wie sie gerade waren. Sie wusste aber auch, dass sie, nachdem sie ihrem Freund gerade die Jacques-Brel-Geschichte beichten musste, den Ball wirklich flachhalten musste.
„In Ordnung, können wir das alles jetzt erst einmal so stehen lassen und einen Schritt nach dem anderen machen?“
Matthias nickte und öffnete den Mund. Aber bevor er etwas sagen konnte, klopfte es an der Tür.
„Matthias, bist Du wach?“
Es war Anna.
„Ja klar, komm’ rein, die Tür ist offen.“
Anna stutzte kurz, als sie ins Zimmer trat. Sie wirkte irritiert über Gretas Anwesenheit; vielleicht bildete sich Matthias das aber auch nur ein.
„Ich habe fast alles für Nonnas Beerdigung vorbereitet. Du müsstest bitte nur noch mit dem Breibach-Wirt sprechen wegen Tischdekorationen, Kerzen und solchen Sachen.“
Greta musste grinsen und Matthias sagte:
„Das ist jetzt nicht gerade so mein Spezialgebiet.“
Das hätte der Beginn einer netten Plänkelei werden können, aber Anna war überhaupt nicht dazu zumute. Sie sah blass und schlecht gelaunt aus.
„Egal, Matthias. Lass’ Dir einfach vom Wirt Vorschläge machen, und wenn irgendetwas für Dich okay aussieht, dann ist es auch okay.“
„Ja natürlich“, sagte Matthias. „Ich fahre hinterher gleich mal vorbei. Ich weiß schon, ich hab’ die letzten Tage Dich alles machen lassen.“
„Passt schon, Du hast ja zurzeit viel anderes im Kopf. Rainer kommt blöderweise tatsächlich erst morgen Vormittag zurück, direkt zur Beerdigung ... ist halt jetzt so.“
Greta sah Matthias mit einem fragenden Blick an, den der aber schon deshalb nicht wahrnahm, weil er damit beschäftigt war, sich zu vergegenwärtigen, was es bedeutete, dass sein Bruder erst morgen zurückkommen würde.
Nachdem Anna gegangen war, überlegte Greta kurz, ob sie Matthias fragen sollte, was er seiner Schwägerin erzählt hatte, ließ es dann aber lieber sein.
„Weißt Du was?“, sagte Matthias und packte seine Freundin mit ausgestreckten Armen an beiden Schultern. Er kam ihr jetzt geradezu aufgekratzt vor. „Ich muss jetzt kurz telefonieren und dann fahre ich zum Breibach-Wirt. Und Du solltest Dich vielleicht heute tagsüber noch ein bisschen ausruhen. Ich
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