Laurins Vermächtnis (German Edition)
vermute, wir haben eine längere Nacht vor uns.“
„Das hätten wir doch wirklich ganz bequem auch tagsüber machen können“, brummelte Manfredo Fratelli. „Das ist Dein Hotel und in der Bibliothek sind halt Renovierungsarbeiten fällig.“
„Ja doch“, sagte Matthias. „Aber mir ist es so einfach wohler. Mir wäre ja schon beinahe das Herz stehengeblieben, als vorhin Anna ins Büro kam, während Du Rainers Schreibtischschublade verschlossen hast.“
„Da war ich allerdings auch baff. Sie schien sich nicht wirklich gewundert zu haben.“
„Ach weißt Du, Anna versucht seit ein paar Tagen so gut sie kann, sich möglichst über nichts zu wundern.“
Wieder war Greta kurz davor, etwas zu fragen, aber sie spürte, dass der Augenblick an diesem Abend noch schlechter wäre als der am vergangenen Morgen.
„Also, was gibt’s zu tun?“, fragte Manfredo.
„Ich will sehen, was unter diesem Teppich ist.“
„Ich vermute, ein Holzboden. Und wenn Du Dir nicht sicher bist, schraubst Du einfach rechts und links die paar Schrauben aus den Leisten. Einen Schraubenzieher werdet Ihr ja wohl im Haus haben.“
Greta stand zwischen den beiden Männern, sagte kein Wort und fühlte sich deplatziert. Manfredo benahm sich ihr gegenüber nicht unfreundlich; er ignorierte sich nur einfach, was unangenehm genug war.
„Natürlich haben wir einen Schraubenzieher im Haus. Mir ist nur einfach ... ich hätte gerne ... Ich möchte einfach, dass Du mir hilfst, dass Du dabei bist. Wer weiß, worauf wir hier heute Abend noch stoßen. Ich brauche keinen Mechaniker, ich brauche einen Freund.“
Manfredo Fratelli war sichtlich berührt, aber er sammelte sich schnell wieder.
„Okay, mein Freund, dann machen wir das jetzt hier zusammen. Weil Du es gerne möchtest. Weil ich einen Freund nicht hängen lasse. Aber eins will ich klarstellen: Egal, was aus der Nummer hier wird, ich habe keine Karten in diesem Spiel. Ich helfe Dir, aber die Ansagen machst Du. Und wenn Du meinst, ich habe genug geholfen, bin ich in zehn Sekunden verschwunden.“
Greta schaute Manfredo konzentriert an. Sie hatte ihn bisher nur oberflächlich als Matthias’ Biker-Freund gekannt, ein gutaussehender Mann, wenn man auf Latin-Lover-Typen steht, gleichzeitig brummig und fast ein bisschen grobschlächtig. Was sie bis zu diesem Moment nicht erwartet hätte: Dieser Mann hatte offenbar außerdem auf seine eigene Weise Format.
„Perfekt“, sagte Matthias. „Lass’ uns loslegen.“
Manfredo Fratellis wichtigstes Kriterium bei der Auswahl seiner Jacken und Hosen waren offenbar die Taschen. Er hatte überall welche: innen, außen, an der Brust, an der Hüfte, an den Ärmeln, am Oberschenkel; sie hatten Knöpfe, Reißverschlüsse und Klettverschlüsse. Darin verstaute er Geld, Papiere, Tabakbeutel, Zigarettenpapier, Sturmfeuerzeug, Pflaster, Taschenlampe und allerlei Werkzeug. Der Mann war ein wandelndes Warenlager.
„Dann schrauben wir mal die Leisten ab. Die sehen nicht so aus, als ob sie hier schon lange wären.“
Greta hatte in der Zeit, in der sie bei Matthias im Jägerhof wohnte, natürlich nie darauf geachtet, ob der rote Sisalteppich in der Bibliothek einfach nur so dalag, oder schon immer mit Leisten im Boden verschraubt war. Aber jetzt fiel auch ihr auf, dass der Holzboden unter den Leisten, die Manfredo gerade abgeschraubt hatte, genauso aussah wie daneben. Wären die Leisten schon jahrelang da gewesen, hätte man irgendeinen farblichen Übergang sehen müssen.
„Weitermachen?“
„Ja klar“, sagte Matthias.
Zu dritt schoben und hoben sie Sofa, Sessel und Beistelltische vor den Kamin, bis der Teppich freilag.
„Bist Du sicher, dass Du das machen willst?“
Matthias Jäger sah seine Freundin erstaunt an. „Dass ausgerechnet Du das fragst. Fühlt sich das hier an, als ob es jetzt noch ein Zurück gäbe?“
„Nein, tut es nicht. Ich wollte nur klarstellen, dass wirklich nur Du die Entscheidungen triffst. Du sollst Dich nicht von mir beeinflusst fühlen.“
„Danke. Es ist so, wie wir vereinbart haben: Ich bin der Boss.“
„Hey Boss, ich will Eure Beziehungsarbeit nicht stören, aber meinetwegen könnten wir weitermachen.“ Manfredo lehnte am Kaminsims und hielt die Arme verschränkt.
Matthias grinste. „Natürlich. Greta, hilfst Du uns?“
Die beiden Männer packten den Teppich an den Außenseiten, Greta griff in der Mitte an. Langsam und sorgfältig, geradezu andächtig, rollten sie ihn auf.
So sehr Matthias Jäger inzwischen
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