Laurins Vermächtnis (German Edition)
‚Danke‘ sagen, dafür, dass Du mich so schön geschont hast.“
„Nein, natürlich nicht.“ Paul machte eine Pause. „Was willst Du nun tun?“
„Ganz ehrlich“, sagte Matthias, „ich weiß es noch nicht. Ich muss nachdenken.“
„Dann gehe ich jetzt vielleicht mal wieder.“
„Ja, geh’ nur. Ich werde auf jeden Fall nicht gleich bei der Guardia di Finanza anrufen.“
„Was sagst Du?“
„Schräge Geschichte“, antwortete Manfredo Fratelli, „lass’ uns hochgehen in die Wohnung.“
„Espresso – heiß, stark und schwarz?“, rief Manfredo aus der Küche.
Dieser Kerl, dachte sich Matthias, kümmert sich um mich wie eine große, ziemlich toughe Schwester. Er bricht Schlösser für mich auf, besorgt Abhöranlagen und macht mir was zu trinken.
Matthias nahm einen Schluck, dann sagte er: „Also, was hältst Du davon, Du hast ja alles gehört.“
„Mmh, zuerst dachte ich mir, da ist was faul: Großes Gutmenschentum, er will Euch retten und anschließend greift er das Geld ab.“
„Zuerst ... und dann?“
„Dann habe ich mir überlegt: Wie hätte ich mich verhalten? Ich bin Offizier bei der Guardia di Finanza und mein Job ist es, Schurken zu ertappen. Eines Tages habe ich das Pech, zu entdecken, dass einer der Schurken der Bruder meines besten, ältesten Freundes ist. Des Freundes wohlgemerkt, der vor vielen Jahren jämmerlich ersoffen wäre, wenn ich ihn nicht aus dem Wasser gezogen hätte. Ich will jetzt echt nicht zu fett auftragen, Mattes, aber Paul hat eine besondere Beziehung zu Dir. Verstehst Du, das ist ein bisschen so wie mit dem Kleinen Prinzen und der Rose.“
Matthias musste schlucken.
„Also, noch mal: Wie hätte ich mich verhalten? Ich hätte kein Problem damit gehabt, Rainer hinzuhängen. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, so ist das. Aber Matthias, dessen Wohlergehen ich einst zu meiner persönlichen Sache gemacht habe, würde unausweichlich mit in die Tiefe gerissen. Das Militär kann ich verlassen, aber nicht meinen besten Freund. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich hätte Rainer, wenn auch ungern, davon kommen lassen. Aber ich hätte dann nicht bei der Truppe bleiben können. So, und was jetzt: Ich brauche eine neue Existenzgrundlage, und wer hat zufälligerweise die dafür nötige Kohle?“
„Wow, das hat was von griechischer Tragödie.“ Matthias ließ sich nach hinten an die Sofalehne sinken, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
Auf einmal schoss er wieder hoch. „Scheiße!“
„Was denn?“
„Der Brief! Rainer hat doch gesagt, unser Großvater habe ihm den kurz vor seinem Tod gegeben. Nonno ist 2002 gestorben, diese Sache in Koper aber war Ende 1998, und 1999 ist Paul aus dem Dienst ausgeschieden und hat die Schlernbachalm aufgemacht. ‚Kurz vor dem Tod‘, das sind nicht drei oder vier Jahre.“
„Moment mal, ganz langsam.“ Manfredo presste Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel. „Was sagt uns das? Das bedeutet ... auf jeden Fall, dass Rainer nicht erst durch den Brief von den Goldbarren erfahren hat, sondern die Kisten schon viel früher von selber gefunden hat.“
„Richtig“, sagte Matthias. „Und nach der Geschichte von Paul hat Rainer doch gesagt, er habe das Gold bei Renovierungsarbeiten entdeckt.“
„Heißt das, Dein Großvater hat den Brief gar nicht geschrieben?“
„Doch, doch, ich hab’ ihn ja hier in der Tasche. Er hat halt nur offenbar nicht gewusst, dass Rainer das Versteck bereits kannte.“
Matthias zog den Brief hervor und betrachtete die Seiten eine Zeitlang mehr, als dass er sie las. Er schaute ans Ende, in der Erwartung, dort vielleicht ein Datum zu finden, das er zunächst übersehen hatte. Der letzte Satz lautete: „Sei gewiss: Ich bin in Frieden gestorben.“ Da war tatsächlich kein Datum, es war etwas anderes, was Matthias beim ersten Lesen nicht bemerkt hatte.
„Verdammt, Manfredo, schau Dir das mal an!“ Er zeigte auf das Wort „gewiss“ .
„Was ist damit?“
„Sieh doch – ‚gewiss‘ mit Doppel-ss. Zu meines Großvaters Zeiten hat man das noch mit Eszett geschrieben.“
„Ja, vor der Rechtschreibreform. Aber die war, 2002, als er gestorben ist, schon lang in Kraft.“
„Das weiß ich selber. Aber Du glaubst doch nicht im Ernst, ein 80-Jähriger ändert seine Schreibweise, noch dazu in einem privaten, handgeschriebenen Brief, bloß weil ein paar Professoren in ihren Amtsstuben sich was anderes ausgedacht haben.“
„Da ist was dran. Also ist der Brief eine
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