Lauschangriff - Im Visier der Feinde
bis du, der du über alle Dinge herrschst, ihn zu dir in dein Königreich abberufst.
Die Uhr hoch oben über der Brüstung des Cunningham Tower stand auf zwei Minuten nach eins, alle fünf Männer hatten den einen dröhnenden, metallischen Schlag vernommen, mit dem die Uhr seit 1900 die Zeit anzeigte. In jenem Jahr war der Turmzur Feier von Queen Victorias diamantenem Thronjubiläum errichtet worden, der Königin von Großbritannien, Kaiserin von Indien und Herrscherin über die überseeischen Reiche, zu denen auch Peshawar gehörte.
Das Echo des Glockenturms, in dem das alte Empire nachhallte, war kaum im warmen Wind verklungen, als dreimal gegen das schwere Holz der Seitentür geklopft wurde, es folgte eine Pause, worauf erneut zwei Schläge ertönten, wieder eine Pause, und dann ein einzelner Schlag. Der vereinbarte Einlasscode. Wer immer hier hereinwollte, er gehörte zum inneren Zirkel.
Kaiser Rashid war sofort auf den Beinen und zog seinen Krummdolch, während er zur Tür ging. Er spähte durch den gläsernen Spion, steckte den Dolch wieder in die Scheide und schob die beiden schwarzen gusseisernen Riegel zurück. Draußen stand ein älterer Pathane mit hartem, haselnussbraunem, runzeligem Gesicht; in der Hand hielt er die Zügel seines Kamels.
Er und Kaiser begrüßten sich auf traditionelle Art und Weise, neigten voreinander den Kopf, berührten mit der Hand die Stirn, bevor sie sie in einer weit ausholenden Geste des Respekts schwungvoll nach unten führten.
»Salam alaikum, Kaiser.«
»Wa alaikum as salaam, Ali.«
Er reichte Kaiser einen braunen versiegelten Umschlag und sagte: »Aus Islamabad, eine E-Mail aus Amerika. Ich bin letzte Nacht losgeritten.«
»Bleibst du zum Abendessen? Du musst müde sein. Ich sorge dafür, dass sich jemand um dein Kamel kümmert.«
»Heute nicht. Ich muss noch hoch ins Tal. Es sind wichtige Neuigkeiten.«
Kaiser wünschte ihm daraufhin alles Gute, schloss die Tür und verriegelte sie wieder.
Shakir Khan öffnete den Umschlag und starrte auf die Meldung. »Allah hat unser Rufen vernommen«, sagte er leise. »Und unsere Gebete erhört. Die Amerikaner haben dem internationalen Druck nachgegeben und erlaubt, dass unsere tapferen Dschihadisten wenigstens der Hölle von Guantanamo entrinnen und vor einem Zivilgericht ein gerechtes Verfahren einfordern können, wie es jedem rechtschaffenen Mann zusteht.«
Amin erhob sich und richtete den Blick nach oben. Er verschränkte die Hände und rief in den azurblauen Himmel über der Nordwestlichen Grenzprovinz: »Allah ist groß. Ibrahim und seine Freunde werden nach Hause kommen. Gott hat unsere Bitten erhört. Allmächtiger, du hast sie vor dem Tyrannen gerettet!«
Shakir Khan hielt den Ausdruck des Urteils vom Obersten Gerichtshof in Händen. Sorgfältig las er die Worte des Richters Kennedy, desjenigen, der ausgewiesenen Terroristen die gleichen Rechte zugestanden hatte wie jedem US-Bürger … die Worte, die den Präsidenten höchstselbst in Rage versetzt hatten. Von seinen militärischen und zivilen Sicherheitsberatern ganz zu schweigen.
»Warum hat dieser Kennedy das getan? Glaubt er an unsere Sache? Ist er ein Verräter an Amerika?« Kaiser Rashid war verblüfft.
Genauso erging es dem sehr viel gebildeteren Shakir Khan. »Mein Sohn«, sagte er, »die Amerikaner sind manchmal nur schwer zu verstehen. Sie lächeln einen an und schlagen uns mit Waffen, die dem Propheten selbst Angst einjagen würden. Sie töten uns ohne Gnade. Ihr alle könnt das bezeugen. Und dennoch haben Sie etwas an sich, was sich nicht erklären lasst. Als würden sie sich ihres Landes, ihrer Gesetze und ihres Volkes schämen. Manchmal haben sie Gewissensbisse und wollen Dinge gutmachen, die nicht gutzumachen sind. Letztlich müssen sie den heiligen Krieg, den wir ihnen erklärt haben, verlieren. Denn sie sind weichherzig, zu oft fehlt ihnen die Härte des wahrenKriegers. Es fehlt ihnen der Mut für den Kampf. Sie sind wie arme, schwache, bemitleidenswerte Weiber, und jetzt haben sie etwas erfunden, um unsere besten Krieger aus der Gefangenschaft zu entlassen.«
»Heißt dies, sie sind der Auseinandersetzung überdrüssig?«, fragte Kaiser.
»Natürlich«, erwiderte Khan. »Aber wir sind es nicht. Dieser Krieg wird lange dauern, und wir werden nicht eher ruhen, bis die amerikanischen Ungläubigen das Wort des Propheten achten und wissen, dass allein Allah groß ist.«
»Oder«, fügte Amin, Ibrahim Sharifs Onkel, hinzu, »bis sie tot zu unseren
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