Lauschangriff - Im Visier der Feinde
Füßen liegen.«
K APITEL Z WEI
Die Meldung wurde von Hand zu Hand weitergereicht – fünf Stammesmänner starrten auf das Urteil, das Richter Kennedy im Namen des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten 11
000 Kilometer entfernt in Washington D.
C. verfasst hatte.
Keiner sagte ein Wort. Nur das Plätschern des Brunnens im Innenhof war zu hören. Ali, der auf dem Rücken seines Kamels die erstaunlichen Nachrichten über gefährliche Bergpässe in den Norden gebracht hatte, war leise durch die Gasse und in die Straßen von Peshawar entschwunden.
Die Azzam-Brüder und Musa Amin baten um Aufklärung, damit sie verstanden, welche Folgen dieses amerikanische Gerichtsurteil hatte. Kaiser Rashid, Khans Assistent, der in London Jura studiert hatte, gab sein Bestes.
»Als Erstes«, sagte er, »beruft sich das Urteil auf Habeas Corpus.«
»Habeas Corpus? Welche Sprache ist das?«, fragte Amin.
»Latein«, antwortete Kaiser. »Die Justiz der meisten westlichen Staaten geht auf die Römer zurück.«
»Wie ist es mit unserer?«
»Unsere ist älter, viel älter.«
»Haben wir auch ein Habeas Corpus?«
»Ich weiß nicht, ob wir so etwas überhaupt brauchen. Wir hatten schon Jahrtausende vor dem Propheten ein ordentliches Rechtswesen.«
»Hmmm«, kam es von Amin. »Trotzdem, ich verstehe immer noch nicht, was es bedeutet.«
»Es bedeutet, wörtlich übersetzt, du sollst einen Körper haben . Es bezieht sich auf das Erscheinen vor Gericht. Das Gesetz verlangt, dass der Angeklagte persönlich vor dem Richter oder dem Gericht erscheint und dort das Recht hat, zu erklären, warum er aus der Gefangenschaft entlassen werden sollte.«
»Und dieses Recht wird Ibrahim zugestanden?«
»Nach allem, was in diesem Dokument steht«, erwiderte Kaiser nachdenklich, »wird dieses Recht allen zugestanden, die in Guantanamo eingesperrt sind.«
»Aber der Richter wird sie wegen ihrer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie es nennen, doch sicherlich gleich wieder zurückschicken?«
Shakir Khan unterbrach sie. »Das wäre vielleicht noch vor fünf Jahren so gewesen, als Präsident Bush zornig auf die gesamte muslimische Welt war. Aber jetzt nicht mehr. Die Zeiten haben sich geändert. Die Amerikaner sind des Krieges überdrüssig. Ihre Politiker müssen auf das Volk hören. Sie wollen, dass alles vorbei ist. Und jetzt fangen sie damit an, ihre Gefangenen loszuwerden.«
»Du meinst, sie schicken Ibrahim und Yousaf nach Hause?«
»Sieht ganz danach aus. Aber bis es so weit ist, steht für uns viel Arbeit an. Sie brauchen Anwälte. Amerikanische Anwälte. Wir müssen Vorkehrungen treffen, um uns deren Dienste zu sichern. Das alles muss über Osamas Führungsebene laufen.«
»Können wir Handys und E-Mail verwenden?«
»Ich glaube kaum«, erwiderte Khan. »Falls uns die Amerikaner abhören, werden sie die Regierung dazu drängen, uns zu verhaften. Es ist immer besser, im Verborgenen zu bleiben und Befehle und Dokumente von Angesicht zu Angesicht weiterzuleiten. Das dauert zwar länger, ist aber sehr viel sicherer.«
Der Ruf des Muezzin hallte vom Minarett, das hoch über den schimmernden weißen Mauern der Moschee des Mahabat Khan nördlich der Altstadt aufragte. Alle fünf Männer verließen eilends den Innenhof und schlossen sich der gläubigen Menge an.
In der nächsten Stunde stellten Shakir Khan und seine Männer die mögliche Freilassung ihrer tapferen Brüder aus Guantanamo zurück und konzentrierten sich ganz auf das Nachmittagsgebet. Allah ist groß … es gibt keinen anderen Gott. Es würde noch genügend Zeit bleiben während der langen, warmen Nachmittagsstunden, um sich über Ibrahims und Yousafs Freilassung Gedanken zu machen.
Shakir Khan führte seine Vorschläge in sorgfältig chiffriertem Arabisch aus und ließ einen Boten kommen. Dieser leitete sie mit der nächsten Kamelkarawane weiter, die beladen war mit Obst aus dem fruchtbaren Peshawar-Tal, mit Aprikosen, Pfirsichen, Pflaumen, Birnen, Zitronen und Orangen. Nach zweitägiger Reise traf die Botschaft in der grünen, baumgesäumten pakistanischen Hauptstadt Islamabad ein, 150 Kilometer östlich von Peshawar gelegen.
Empfänger war ein pakistanischer Regierungsbeamter, der in der Market Road, einige Hundert Meter vom Parlamentsgebäude entfernt, ein privates Büro unterhielt. Damit befand er sich im Zentrum des Geschäftsviertels, das seltsamerweise Blue Area genannt wurde. Westliche Geheimdienste sind hier nicht gern gesehen, schließlich
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