Lauter Bräute
»In Zukunft werden sie beim Empfang im Foyer geführt und nicht mehr im Aufenthaltsraum der Beraterinnen.«
»Darf ich fragen, warum?« Ich wußte es natürlich. Im Zimmer der Beraterinnen war es möglich, kleine Änderungen vorzunehmen, wenn man wollte. Draußen im Foyer befand man sich unter den Augen der Öffentlichkeit, und kleine Korrekturen anzubringen, war dort wesentlich schwieriger.
»Ich ziehe es vor, daß das Personal die Zeitlisten im Foyer abzeichnet, das ist alles. Um neun Uhr fünfzehn werden sie vom Empfang zu mir ins Büro gebracht. Wer zu spät kommt, wird sich damit automatisch bei mir zu melden haben.«
Dem konnte ich nicht widersprechen. Er war der Etagenchef, und dies fiel in seinen Aufgabenbereich. Wenn er ein Schreckensregiment einführen wollte, war er dazu durchaus berechtigt.
»Wer ist Suzanne Banville?« fragte er jetzt.
»Eine unserer Beraterinnen.« Und hastig fügte ich hinzu: »Sie ist unbezahlbar. Sie ist Französin. Sie besitzt eine besondere Gabe...«
»Ich stelle fest, daß sie ständig zu spät kommt. Außerdem höre ich, daß sie diesen Monat bereits zweimal wegen Unpünktlichkeit verwarnt wurde. Ist sich Miß Banville darüber im klaren, daß eine dritte Rüge gleichbedeutend ist mit Entlassung?«
»Ich werde sie noch einmal daran erinnern.«
Er fuhr fort: »Ich stelle fest, daß Sie sich nicht in die Zeitlisten eintragen, Miß Evans.«
»Nein, das tue ich auch nicht.«
»Warum nicht?«
»Es gehört zu den Privilegien der Einkaufsassistentin.«
»Oh?« Das billigte er offenbar ganz und gar nicht. »Und wann kommen Sie normalerweise morgens?«
»Ich öffne die Abteilung um neun Uhr.«
»Jeden Morgen?«
»Jeden Morgen, mit Ausnahme von freitags. Das ist mein freier Tag.«
»Freitags ist Ihr freier Tag?« bemerkte er kühl. »Das wird sich ändern müssen, fürchte ich.«
»Ach, wirklich? Warum?«
»Ich bereite einen neuen Plan vor, der wahrscheinlich gewisse Veränderungen und Umstellungen mit sich bringen wird.«
Derartige Veränderungen und Umstellungen lagen in seiner Macht. Ich enthielt mich jeden Kommentars.
Sein Ton wurde um einige Nuancen schärfer. »Miß Evans, ich möchte eines klarstellen: Ich habe die Absicht, die Leistungsqualität dieser Abteilung zu verbessern. Der Vorfall gestern war schandbar. So etwas darf sich nicht wiederholen. Von nun an wünsche ich, daß Sie, solange Mrs. Snell noch ausfällt, mir genauen Bericht über alles erstatten, was die Arbeit der Abteilung angeht.«
Sinnlos, sich zu diesem Zeitpunkt in eine Debatte einzulassen. Wie, um alles in der Welt, konnte ich ihm über meinen gesamten Arbeitsablauf Bericht erstatten? Absurd so etwas. Früher oder später würden wir wegen dieser Angelegenheit doch aneinandergeraten, und da war es schon besser, meine Kräfte bis dahin aufzusparen.
Mein Schweigen ärgerte ihn offenbar. Er ging. Ein paar Minuten später erschien Mrs. Buckingham in der Tür, Wut und Entsetzen im Gesicht. »Miß Evans!«
»Oh, guten Morgen, Mrs. Buckingham.«
»Guten Morgen, meine Liebe. Wissen Sie, was dieser Mann tut? Dieser unmögliche Kirkpatrick hat unsere Zeitlisten im Foyer und verfolgt unser Eintreffen mit einer Stoppuhr! Man kommt sich vor, als arbeite man in einer Fahrradfabrik.«
Ich versuchte, ihre hochgehenden Gemütswogen zu glätten, doch sie ließ sich nicht beruhigen. Sie war eine durch und durch feine alte Dame; bis zum Börsenkrach von 1929 hatte sie in großem Stil gelebt; sie besaß noch immer einen umfangreichen, vermögenden Freundeskreis; und sie fühlte sich in ihrer persönlichen Würde gekränkt.
Mrs. Hatfield war ebenso empört über die Stoppuhr, desgleichen Miß de Wild. Suzanne erschien Gott sei Dank vor neun Uhr fünfzehn, doch sogar ihre Selbstsicherheit war erschüttert. Sie wurde weiter erschüttert durch einige grimmige Worte der Warnung von mir. Unsere Lageristin, Estelle, verspätete sich um ein paar Sekunden und kam bei mir angerannt, um sich zu entschuldigen, voller Angst, daß ihr auf der Stelle gekündigt werden würde. Miß Caswell kam ein paar Minuten zu spät und erschien blaß und wütend in meinem Büro. In gewisser Weise war es interessant, Mr. Kirkpatricks Wirkung auf das Personal zu beobachten. Er sorgte zweifellos dafür, daß man seine Anwesenheit bemerkte.
»Miß Caswell«, sagte ich, »Sie ahnen nicht, wie froh ich bin, Sie zu sehen«, und noch ehe sie eine Bemerkung über den Mann mit der Stoppuhr machen konnte, erzählte ich ihr die Schauermär von
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