Lauter Bräute
den Albacinis.
Sie war entgeistert. Sie fühlte sich in ihrem Berufsstolz gekränkt. »Oh, Miß Evans! Wie schrecklich! Und das ist allein meine Schuld. Wäre ich hier gewesen, mich um die Sachen zu kümmern...«
»Geschehen ist geschehen«, erwiderte ich und fuhr fort, ihr zu erklären, wie die Dinge nun standen. Mr. Giachino wollte um neun Uhr dreißig mit der Lieferung dasein, und die Albacinis erschienen um zwölf zur Anprobe.
»Bitte, Miß Evans, überlassen Sie die Angelegenheit mir. Ich werde mein Möglichstes tun, um es bei Miß Albacini gutzumachen.«
»Danke Ihnen. Noch eins: Gestern morgen hat Lorinda Lorraine mich artgerufen. Sie ist in Paris.«
»Paris! Aber es sind doch nur noch ein paar Tage bis zu ihrer Hochzeit.«
»Die Hochzeit findet nicht statt. Sie hat mich angewiesen, ihr Brautkleid zu vernichten, es zu verbrennen, in den Aschenkasten zu stopfen oder es der Heilsarmee zu schenken.«
»Wie traurig! Und dabei liebte sie den hübschen Spanier so. Die beiden waren doch völlig vernarrt ineinander. Wie schade!«
»Nun, wir brauchen nichts zu unternehmen, bis wir ihren Brief haben. _ Ich hätte Sie übrigens schon eher fragen sollen: Wie geht es Ihrer Mutter?«
»Leider nicht sehr gut. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich aufhören muß zu arbeiten, um sie ganz zu pflegen.«
»Oh, nein!« Wir konnten es uns nicht leisten, Miß Caswell zu verlieren. Sie war der Star unter unseren Beraterinnen.
Mit dem Glockenschlag halb zehn, als das Geschäft geöffnet wurde, rief Alice Pye vom Empfang an, um mir mitzuteilen, daß Mr. Giachino da sei. »Miß Caswell kümmert sich um die Lieferung, Alice. Bitte, sagen Sie ihr Bescheid.«
Kurz darauf war Alice schon wieder am Apparat. »Miß Evans, Mr. Giachino war bei Miß Caswell. Er möchte Sie aber auch noch gern ein paar Minuten sprechen.«
Ablehnen konnte ich nicht. »Na, schön. Bitten Sie ihn, in mein Büro zu kommen.«
Forschen Schritts trat er ein, klein, die Miniaturausgabe eines sehr gut aussehenden Mannes sozusagen, in einem schwarzen Kaschmirmantel, der ein Vermögen gekostet haben mußte, und einem schwarzen italienischen Seidenanzug. Er überreichte mir eine Schachtel mit zwei Dutzend roten Rosen, um seinem Bedauern über die gestrige Katastrophe Ausdruck zu verleihen, und erging sich fünf Minuten lang in pausenlosen Entschuldigungen. »Glauben Sie mir«, sagte er schließlich, »das wird nie wieder geschehen, Ehrenwort.«
Natürlich würde so etwas leider doch wieder Vorkommen. Katastrophen gehörten bei uns einfach dazu. Lieferungen gingen an das falsche Geschäft oder verkrümelten sich unterwegs, oder wurden aus dem verkehrten Material angefertigt, oder in der falschen Farbe oder der falschen Größe, und das passierte nicht nur uns, sondern jedem in der ganzen, großen quirligen, verrückt komplizierten Bekleidungsindustrie. Es herrschte ständiges Chaos. Das Wunder war nur, daß wir es überhaupt fertigbrachten zu funktionieren.
»Miß Evans«, sagte er, »es war sehr schade, daß Sie gestern abend nicht mit mir essen konnten. Sie wären nicht heute mittag frei?«
»Ich bedaure unendlich, Mr. Giachino. Ich muß hierbleiben, um Miß Caswell bei den Albacini-Anproben zu helfen.«
»Sehr schade. — Hätten Sie jetzt einen Augenblick für mich Zeit?«
»Einen Augenblick, ja.«
»Schließen wir die Tür.«
Er tat es, setzte sich mir gegenüber und blickte mich mit traurigen braunen Augen an. »Sie haben wenig Zeit, und ich habe wenig Zeit. Also will ich gleich zur Sache kommen. Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen gestern abend sagte, ich wolle mit Ihnen über einen interessanten kleinen Vorschlag sprechen?«
»Ich bin eigentlich für gar keine Vorschläge zu haben, Mt. Giachino.«
Er holte tief Atem. »Nicht so schnell, bitte. Sagen Sie mir ehrlich: Sind Sie hier bei Fellowes voll und ganz zufrieden? Sehen Sie hier eine Zukunft für sich?«
»Ja, Mr. Giachino. Ich arbeite gern bei Fellowes.«
»Sicher, es ist ein ausgezeichnetes Kaufhaus. Eines der besten in der Welt. Aber hat es einem Mädchen wie Ihnen genügend zu bieten? Lassen Sie mich einfach einmal laut denken. Giachino Brothers brauchen genau jemanden wie Sie, Miß Evans, um die laufende Entwicklung zu beobachten, uns unterrichtet zu halten, was auf unserem Sektor zu erwarten ist, um die Verbindung zu unseren Kunden zu halten, um die Verkaufsvertretung von Giachino hier im Herzen von New York zu sein. Es wäre eine glänzende Gelegenheit für Sie, Miß Evans. Sie
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