Lauter Bräute
herausgeklettert kam, stand er so nahe, daß unsere Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren.
»Oh, D’Arcy«, murmelte er. »Was sind Sie für eine reizende Frau. So anziehend.«
»Danke, Eric. Und danke für einen wirklich hübschen Abend.« Freundschaftlich streckte ich ihm die Hand hin.
»So wollen Sie mich doch wohl nicht verlassen!«
»Ich fürchte doch, Eric. Es ist furchtbar spät.«
»Sie werden mich doch zumindest noch heraufbitten auf einen Gute-Nacht-Schluck! «
»Schauen Sie, Eric, ich muß morgen früh wieder aufstehen und — «
»Aber nur einen kleinen Schlaftrunk! Sie können doch nicht Schlafengehen, ohne wenigstens ein kleines Glas auf das neue Lebensjahr getrunken zu haben, das Sie gerade beginnen! Das ist ausgeschlossen!«
»Nein, Eric, tut mir leid. Ich bin schrecklich müde — «
»Ein kleiner Drink wird Sie entspannen — «
Volle zwei Minuten verhandelten wir auf diese Weise. Schließlich seufzte er tragisch: »Na, schön, ich gebe mich geschlagen. Aber Sie werden mir doch hoffentlich gestatten, Sie bis zur Tür zu begleiten?«
»Natürlich«, sagte ich, aber er war ein gewitzter Bursche, und ich wußte, ich mußte auf der Hut sein. Also blieb ich am Fuße der Steintreppe, die zur Tür des alten Hauses hinaufführte, stehen und streckte ihm wieder die Hand hin.
Er übersah sie; statt dessen rückte er näher — dieses Manöver beherrschte er aus dem ff — und sagte: »Einen Gute-Nacht-Kuß erlauben Sie mir doch hoffentlich?«
Ich zögerte. Ich wollte ihn an seine hübsche, kleine Frau erinnern, die in Zürich geduldig auf ihn wartete, an seine reizenden kleinen Töchter Vicki und Nicki, vier und fünf Jahre alt; gleichzeitig jedoch dachte ich bei mir: Warum eigentlich nicht? Es ist mein Geburtstag, verdammt noch mal. Das mindeste, was eine Frau sich an ihrem Geburtstag erhoffen kann, ist ein freundschaftlicher Gute-Nacht-Kuß. Auf rätselhafte Weise, ohne daß ich ein Wort gesagt hätte, spürte er mein Einverständnis und nahm mich in die Arme. Ich wehrte mich nicht, kam ihm aber auch nicht entgegen. Dann plötzlich schreckte ich auf und versuchte, mich von ihm zu befreien. Ich hörte näherkommende Schritte, und aus dem Augenwinkel sah ich schemenhaft einen Mann auf uns zukommen, der einen riesigen Hund an der Leine führte, der aussah wie der Hund von Baskervilles.
»Du bist zauberhaft, zauberhaft«, murmelte Eric und hielt mich unerbittlich fest in seinen starken Armen; ich jedoch hatte jedes Interesse an ihm verloren; meine Aufmerksamkeit war ganz woanders. Der Riesenhund entpuppte sich beim Näherkommen als ein unverhältnismäßig großer Dobermann mit einer langen, niederträchtigen Schnauze und feurigen Augen. Er beschnüffelte im Vorübergehen meine Beine, und ich zitterte. Der Mann war groß und stakste kerzengerade daher; er trug einen offenen Tweed-Mantel und eine Tweed-Kappe und ging vorbei, ohne mich auch nur mit einem Blick zu streifen. Er zerrte den Dobermann von meinen Beinen weg und setzte seinen Weg fort, als existierte ich überhaupt nicht. Aber er hatte mich gesehen. Ganz sicher hatte er mich gesehen, in enger Umarmung mit Eric Strauss, dem ehemaligen Olympia-Skiläufer. Nein! schrie ich innerlich. Nein! Das kann nicht sein! Aber er war es: Kirkpatrick.
»Gute Nacht, Eric«, sagte ich, entschlüpfte seinen Armen und eilte ins Haus. Ich sah Eric nie wieder, und ich glaube kaum, daß ich je wieder an ihn dachte. Kirkpatrick allerdings ging mir in jener Nacht nicht aus dem Sinn, er verfolgte mich durch meine Träume, und der Dobermann trottete leichtfüßig neben ihm her.
5
Am nächsten Morgen lag mir nicht die Last eines Geburtstages auf den Schultern, und alles begann reibungslos. Ich traf einige Minuten vor neun bei Fellowes ein, holte mir die Schlüssel, fuhr hinauf in den fünften Stock und tat alle die Dinge, die ich jeden Morgen zu tun pflegte; und dann, um ungefähr sieben Minuten nach neun, betrat — wie das leibhaftig gewordene Verhängnis — Kirkpatrick mein Büro. In der Hand hielt er die Arbeitsbogen. Groß, steif und (so schien es mir jedenfalls) nach Hund riechend, stand er da.
»Guten Morgen, Miß Evans.«
»Guten Morgen, Mr. Kirkpatrick.«
Er hätte wahrscheinlich etwas hinzufügen können, wie zum Beispiel: so ein Zufall, Sie gestern abend auf der 10. Straße zu sehen, aber das tat er natürlich nicht. Er hatte andere Dinge im Kopf. »Diese Arbeitsbogen«, sagte er und schlug leicht mit dem Handrücken darauf.
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