Lauter Bräute
über Mr. Dietrichs Schwager davonzutragen?
Ich fuhr hinauf ins Direktorenstockwerk, und Miß Keeler sagte: »Gehen Sie hinein, Miß Evans. Mr. Carroll erwartet Sie.« Ich wappnete mich, straffte sozusagen innerlich die Schultern, und ging in sein Büro; und zu meinem Erstaunen stand er auf und bedachte mich mit einem breiten, warmen, erfreuten Lächeln.
»Ah!« sagte er, als wäre ich sein Augapfel, »wie nett, daß Sie so schnell heraufgekommen sind. Das freut mich aber.« Er wies auf einen olivgrünen Ledersessel. »Bitte, setzen Sie sich doch. Ich wollte kurz mit Ihnen über eine persönliche Angelegenheit sprechen.«
Vorsichtig setzte ich mich, ihn nicht aus den Augen lassend. Aber er spielte nicht Katze und Maus mit mir. Die Freundlichkeit schien echt zu sein.
»Wissen Sie«, sagte er vertraulich, »Brautausstattungen hat einen ungeheuren Ruf. Ungeheuer! Die Leute sprechen in höchsten Lobestönen darüber. Und über Ihr Personal! Sie würden erstaunt sein.«
Ich war allerdings erstaunt. Mir war beinahe schwindlig vor Staunen.
»Natürlich haben Sie Ihre kleinen Schwierigkeiten. Aber wer hat die schließlich nicht?« Er strahlte mich wohlwollend an. »Kommen wir zur Sache. Ich brauche Ihre Hilfe. Meine Tochter Marion hat sich nämlich am Wochenende verlobt, wissen Sie.«
Jetzt wußte ich zumindest, was ich hier sollte. »Oh, Mr. Carroll, wie reizend! Herzlichen Glückwunsch!«
»Danke, vielen Dank.« Er platzte beinahe vor Glück.
»Wir sind alle unsagbar erfreut. Liebe ist etwas Wundervolles, wissen Sie. Etwas ganz Wunderbares.«
»Das muß sicher sehr aufregend für Sie sein.«
»Und ob. Natürlich. Sie verstehen, mein einziges Kind.« Er zwinkerte ein paarmal. »Und sie hat sich einen netten, jungen Burschen ausgesucht. Einen unserer begabtesten jungen Anwälte. Brillant. Glänzend.«
»Das ist ja prächtig.«
»Nun«, fuhr er fort, »sie hat es eilig, wie alle jungen Leute heutzutage, und sie möchte auf jeden Fall im Juni heiraten. Natürlich möchte sie ihre Brautausstattung hier beziehen — wo auch sonst? Also gedachte ich Sie zu bitten, daß Sie sich ihrer freundlicherweise annehmen.«
»Mit dem größten Vernügen, Mr. Carroll.«
»Danke, Miß Evans. Vielen Dank.«
»Wann, meinen Sie, kann sie zu uns kommen?«
»Darüber wollte ich auch mit Ihnen sprechen. Sie ist heute in der Stadt, zusammen mit den Mädchen, die ihre Brautjungfern sein sollen. Nicht weniger als acht. Ist das nicht reichlich viel?«
»O nein, durchaus nicht. Miß Albacini — erinnern Sie sich — hat zehn Brautjungfern.«
Er lachte. »O ja, allerdings, jetzt, da Sie es erwähnen, erinnere ich mich.« Und er fuhr fort: »Sie essen heute alle zusammen zu Mittag — die Mädchen haben das für Marion arrangiert; und ich hatte gedacht — wäre es Ihnen möglich, sie nach dem Essen zu sehen? Um zwei Uhr dreißig, sagen wir?«
Es bedeutete lediglich, daß ich meinen ganzen Tag umarrangieren mußte, aber das war unwichtig. »Natürlich«, sagte ich.
»Prächtig! Prächtig! Marion wird mich im Laufe des Vormittags anrufen, und ich werde ihr sagen, daß Sie sie und ihren Troß erwarten.« Er zwinkerte mir zu. »Können Sie mit der ganzen Meute allein fertigwerden?«
»Ich werde Mrs. Buckingham bitten, mir zu helfen.«
»Mrs. Buckingham! Das ist genau die Richtige! Ich hege die größte Wertschätzung für sie. Ausgezeichnet, Miß Evans. Ich überlasse nun alles Ihren bewährten Händen.«
Ich stand auf.
»Oh, da ist noch eines: Würden Sie mich benachrichtigen, wenn meine Tochter eintrifft? Ich möchte gern herunterkommen und sie begrüßen. Sie sozusagen offiziell willkommen heißen. Und ich nehme an, daß Miß Martin ihr und den Mädchen auch Guten Tag sagen möchte.«
»Ich rufe Sie an, sobald sie eintrifft, Mr. Carroll.«
Er dankte mir noch einmal; er begleitete mich sogar bis zur Tür seines Büros. Im Fahrstuhl, auf dem Wege nach unten, mußte ich unwillkürlich leise seufzen. Ich lebte noch. Kirkpatrick hatte mich nicht wegen Unverschämtheit, Ungehorsam und Unfähigkeit gemeldet. Kaum zu glauben.
Mr. Carrolls Tochter würde zweifellos in ganz großem Stil heiraten, und da Mrs. Buckingham mit solchen Ereignissen besser Bescheid wußte, als ich je wissen würde, bat ich sie zu einer Besprechung in mein Büro. Sie lehnte sich zurück und begann, mir die ganze Historie von Miß Carroll und ihrem Verlobten zu erzählen.
»Meine Liebe, alle Welt weiß doch, daß Charlie Wells seit Jahren hinter ihr her ist
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