Lauter Bräute
— «
»Wer ist Charlie Wells?«
»Der junge Mann, den sie heiraten will. Der jüngste Sohn von Freddie Wells.«
»Oh.«
»Charlie ist ein recht netter junger Mann. Natürlich kein allzu großes Kirchenlicht, wie sein Vater, und zu Pferde sitzt er, daß es ein Jammer ist. Aber jeder weiß, daß Marion ihn keines Blickes würdigte, bis George Barrow mit Effie van Riffenberg durchbrannte —«
»Halt! Wer sind George Barrow und Effie van Soundso?«
»Effie van Riffenberg ist niemand. Deshalb war es ja eine solche Überraschung, daß George Barrow, als er Peggy verließ, mit Effie davonlief, anstatt in Marions ausgestreckte Arme zu fallen, was jeder erwartet hatte.«
Mrs. Buckingham konnte stundenlang so weiterreden. Nichts davon war im Grunde von Belang. Ging es mich schließlich etwas an, daß George Barrow Marion Carroll sitzenließ und sie als Folge davon jetzt Charlie Wells heiratete? Also brachte ich Mrs. Buckingham nach ungefähr zehn Minuten mit sanftem Druck dazu, sich wieder dem uns angehenden, offiziellen Teil zu widmen; und wir beschlossen, daß wir Miß Carroll und ihre acht Brautjungfern direkt in die große Anprobe führen würden, statt zu versuchen, im Foyer mit ihnen zu verhandeln. Ich machte mir eine entsprechende Notiz in meinen Tageskalender. Dann entschuldigte ich mich (Mrs. Buckingham machte Anstalten, den Bericht über Marion Carrolls Liebesleben wieder aufzunehmen) und eilte hinunter ins Kellergeschoß, um Eingänge mit Mr. Poinder zu vergleichen. Die meisten unserer Aufträge waren bereits herausgesucht worden; ein paar fehlten, und wir entdeckten sie schließlich hinter einigen massiven Wandteilen, die für die Antiquitätenabteilung hereingekommen waren. Alles war in bester Ordnung. Mr. Poinder und ich tauschten Komplimente aus und schieden wie üblich als die besten Freunde.
Ich ging zurück in meine Abteilung, und als ich durch den schmiedeeisernen Bogen trat, zischte Alice mir zu: »Miß Evans?«
»Ja, Alice?«
Sie wartete, bis ich neben ihrem Schreibtisch stand. Dann murmelte sie kaum hörbar: »Sehen Sie doch, wer da ist.«
Ich blickte mich im Foyer um. Wir hatten viel zu tun. Die Beraterinnen waren tüchtig an der Arbeit. Ein paar junge Bräute, in vollem Staat, begutachteten sich in den großen Spiegeln.
Aber auf einem der Hocker, die Füße sittsam gekreuzt, Knie zusammen, saß meine kleine Freundin Lucy Brown. Sie trug ihre Schuluniform. Neben ihr saß ein Mann mit fahlem Gesicht und schwarzem Haar, in einem ziemlich schmutzigen, braunen Regenmantel und ungeputzten schwarzen Schuhen.
»O nein! Nicht schon wieder!« ächzte ich leise.
Alice flüsterte: »Der Mann ist ihr Vater. Sie warten auf Sie, Miß Evans.«
Verdruß. Das bedeutete zweifellos Verdruß. Ich wappnete mich und ging dem Ärgernis mit einem Lächeln entgegen. Schließlich war Ärger mein täglich Brot. Er war sozusagen mein Beruf.
Lucy hüpfte von ihrem Sitz und sagte fröhlich: »Hallo, Miß Evans! Kennen Sie mich noch?«
»Aber sicher, Lucy. Und wie geht es dir heute?«
»Prima.« Und mit Grübchen in den Wangen: »Miß Evans, ich möchte Sie mit meinem Vater bekannt machen. Papa, dies ist Miß Evans, die gestern so lieb zu mir war.«
»Guten Morgen, Mr. Brown«, sagte ich.
Er musterte mich geringschätzig von oben bis unten und blieb sitzen. »Sie schludern hier ziemlich, was?« bemerkte er.
Ich starrte ihn verblüfft an: »Bitte?«
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir warten seit zwanzig Minuten. Auf diese Weise gewinnt man keinen Popularitätswettbewerb.«
Mir sträubte sich das Gefieder. »Tut mir leid. Ich hatte in einem anderen Teil des Hauses zu tun. Ich hatte keine Ahnung, daß Sie hier sind. Ihre Tochter hat mich nicht davon unterrichtet, daß Sie kommen wollten.«
»Oh, Papa!« lachte Lucy. »Nun spiel keine Szene. Es hat dir doch Spaß gemacht, die vielen hübschen Mädchen anzusehen. — Miß Evans?«
»Ja, Lucy?«
Sie konnte ihren Vater ganz offenbar um den kleinen Finger wickeln und versuchte das gleiche mit mir. Ihre Stimme war honigsüß, die Grübchen lachten, was das Zeug hielt. »Miß Evans, ob Sie mir einen ganz riesengroßen Gefallen tun würden? Ja?«
»Wenn ich kann, Lucy.«
»Ich habe Papa erzählt, wie Sie mir gestern Helens Brautkleid gezeigt haben; und ich dachte, wie nett es wäre, wenn er es auch sehen könnte. Deshalb, bitte: Würden Sie es ihm zeigen?«
Ich sah den Mann an. Er sah mich an. Anziehend war er nicht gerade. Sein langes, schwarzes Haar
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