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Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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Kirkpatricks Gesicht gesehen?« fragte Mrs. Hazel mich, nachdem er verschwunden war. »Er war zutiefst gerührt; er hatte Mühe, Haltung zu bewahren!«
    »Wirklich?«
    »Ja. Ich hab’s ja die ganze Zeit gewußt. Er tut nur so hart. Darunter hat er ein ebenso weiches Herz wie Sie oder ich.«
    »Darauf würde ich nicht schwören, Mrs. Hazel«, erwiderte ich.
    Der Nachmittag verlief ruhig, ohne atemberaubende Zwischenfälle. Dann, um Viertel nach vier, klingelte mein Telefon, und Alice Pye sagte: »Miß Evans, Lucy ist hier und möchte Sie sprechen.«
    »Lucy? — Welche Lucy?«
    Ich hörte Alice mit irgendwem murmeln. Dann sagte sie: »Sie heißt Lucy Brown, Miß Evans.«
    Lucy Brown. Das klang irgendwie bekannt. »Was möchte sie, Alice?«
    »Sie sagt, sie sei für heute nachmittag mit Ihnen verabredet.«
    »Ich bin mit ihr verabredet?«
    »Das sagt sie jedenfalls.«
    Ich konnte mich nicht erinnern, mit jemandem namens Brown verabredet zu sein, doch es war durchaus möglich, daß ich im vorgerückten Alter an Gehirnerweichung litt. Ich sagte zu, gleich hinauszukommen.
    Draußen im Foyer erkannte ich sie sofort. Lucy Brown war das kleine Mädchen vom vergangenen Samstagnachmittag — elf Jahre alt, mit einem goldblonden Pferdeschwanz und großen, unschuldigen Blauaugen. Diesmal war sie sehr sittsam angezogen: schwarzer Hut mit blauem Band, blauer Mantel, weiße Kniestrümpfe und schwarze Schuhe. Sie kam offenbar direkt aus der Schule.
    Sie saß auf einem unserer weiß-goldenen Stühle. Als ich erschien, sprang sie erfreut lächelnd auf.
    »Hallo, Miß Evans!«
    »Hallo, Lucy.«
    »Miß Evans, wie sehen Sie heute hübsch aus. Ganz wunderhübsch!«
    Sie fing reichlich früh an mit dieser Taktik; doch wenn sie ihre Technik in den nächsten paar Jahren verfeinerte, würde sie fraglos mit ihrem Charme selbst die Tauben von den Dächern herunterholen können. Ich sagte: »Du siehst auch reizend aus. Ist das deine Schul-Uniform?«
    »Ja. Die ist doch gräßlich, oder?«
    »Nein, so schlimm ist sie nicht. Setz dich, Lucy, und sage mir, was ich für dich tun kann.«
    Sie angelte sich wieder auf den Stuhl hinauf und saß kerzengerade, die Knie zusammen, die Hände im Schoß verschränkt. »Miß Evans, ich kam Samstag, als hier sehr viele Leute waren; und Sie waren schrecklich nett und sagten, ich sollte heute kommen, so wie heute nachmittag, weil Sie da nicht so viel zu tun haben. Wissen Sie noch?«
    »Ja, ich weiß.«
    »Jetzt haben Sie nicht so sehr viel zu tun, nein?«
    »Nicht zuviel.« Das Foyer war fast leer, bis auf Alice und Miß Greene, die an einer Ecke mit einer Frau mittleren Alters plauderte.
    »Also«, sagte Lucy, »könnte ich das Kleid wohl sehen?«
    »Welches Kleid, Lucy?«
    »Das für meine Schwester Helen.«
    »Tut mir leid, Lucy, aber ich verstehe nicht ganz. Möchtest du ein Kleid für deine Schwester aussuchen?«
    »Oh, nein! Ausgesucht ist es schon! Das habe ich von Sally Ann Greer herausgekriegt.«
    Geduld, mahnte ich mich innerlich. »Und wer ist Sally Ann Greer?«
    »Helens beste Freundin. Sie wird Brautjungfer bei Helens Hochzeit sein. Eigentlich wird sie überhaupt die einzige sein, die zu Helens Hochzeit geht, außer Helen und Andrew, Andrews Mutter und Vater und Tante.«
    »Du wirst nicht dabeisein?«
    »Ich darf nicht.«
    »Und warum nicht?«
    Sie holte tief Luft. »Ich fürchte, ich langweile Sie.«
    Ich mußte lachen. »Du langweilst mich durchaus nicht, Lucy. Ich finde mich nur nicht ganz durch, das ist alles. Und ich weiß nicht recht, wie ich dir helfen soll.«
    Sie rangelte wieder ein bißchen auf ihrem Stuhl umher und setzte sich fester zurecht. »Vielleicht fange ich lieber ganz von vorne an; dann verstehen Sie alles. — Sehen Sie, Helen ist nicht wie andere Mädchen. Sie ist schrecklich ernsthaft. Andere Mädchen träumen von einem Leben voller Vergnügen. Aber Helen würde das abscheulich finden. Deshalb ging sie hin und arbeitete in diesem Krankenhaus. Sie war Weiße Dame oder Graue Dame oder so was; und sie las Leuten vor, die krank im Bett lagen, und rollte Binden und sowas. So hat sie auch Andrew zuerst kennengelernt.«
    »War er krank?«
    »I bewahre. Er war einer von den Doktoren im Krankenhaus.«
    »Aha.«
    »Und natürlich hat er sich in sie verliebt, weil sie so schön ist und so ernsthaft. Und natürlich hat sie sich auch in ihn verliebt. Aber der arme Andrew hat keinen Pfennig auf der Naht — Sie wissen ja, wie das mit jungen Ärzten ist, Miß Evans; sie verhungern beinahe,

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