Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
Vom Netzwerk:
flehentlich: »Bitte, bitte, Miß Evans, bitte, finden Sie jemand anderen.« Doch ich weigerte mich strikt, hinzuhören. Sie war ein Lohnsklave — wie ich. Sie hatte Befehle auszuführen, wie ich. Wenn sie Widerworte haben wollte, sollte sie hingehen und sie beim Vizepräsidenten Herr-über-Alles, einschließlich lebendiges Fleisch und Blut, anbringen.
    Das Kleid war ein Ungetüm. Zuerst einmal konnte ich es nicht allein aus dem Lager tragen. Estelle und Mrs. Buckingham mußten mir helfen. Es war nicht nur enorm umfangreich, sondern es wog außerdem fünfzehn Kilo und hätte eine fabelhafte Rüstung für die Johanna von Orleans abgegeben. Mrs. Snell hatte mir einmal im Vertrauen gesagt, sie verstehe selbst nicht, welche verrückte Anwandlung sie veranlaßt habe, es zu bestellen. Sie hatte hinterher wochenlang nicht schlafen können. Zweifellos war es märchenhaft schön, von Künstlerhand geschaffen. Aber mit Ausnahme der St. Patricks-Kathedrale gab es wahrscheinlich keine Kirche mit einem Gang von genügender Breite, um diesem Wunderwerk Platz zu bieten. Außerdem war der Preis wirklich recht hoch. Wir verkauften viele Kleider für 650 Dollar, sie gingen weg wie warme Semmeln. Aber 2500 Dollar war mir schon immer reichlich erschienen für ein Kleid, das man nur einmal tragen konnte.
    Ich rief Margot Barry an und überredete sie, einen geeigneten Kopfputz beizusteuern. Sie brachte eine Krone von Dior, die wir Alice praktisch auf den Schädel nagelten. Es war keine Zeit, eine passende Korsage zu besorgen; und da Alice oben herum recht mager war, mußten wir sie mit großen Wattebäuschen ausstopfen. Hüften besaß sie auch so gut wie keine, also halfen wir uns mit vielen Metern Polsterband. Sie war totenblaß — Alice wurde sofort bei jeder Gelegenheit blaß — und wir mußten sie anschreien, immer noch mehr Rouge aufzulegen, damit sie mehr wie eine Braut und weniger wie ein Leichnam aussah. Zum Schluß versuchte Mrs. Docherty ihr beizubringen, wie sie gehen mußte — sie konnte sich kaum vom Fleck rühren durch das Gewicht, das ihre zarte Gestalt zu Boden zu ziehen drohte, und in dem Augenblick sah sie sich plötzlich in den Spiegeln, und — wie bei allen Bräuten üblich — schrie sie laut und gellend auf und schickte sich an in Ohnmacht zu fallen. Estelle, Mrs. Buckingham und Mrs. Docherty stützten sie, während ich in mein Büro sprintete, um das Yardley-Riechsalz zu holen. Wir brachten sie wieder zu sich; wir redeten ihr sanft und liebevoll zu; wir strichen ihr das Haar zurück unter den Schleier; wir unternahmen einen letzten, vergeblichen Versuch, etwas mehr von dem schwellenden Busen zu zeigen, der nicht vorhanden war; und schließlich war sie fertig zum Vorzeigen.
    Ich sagte: »Alice, Sie sehen hinreißend aus«, (was auch stimmte) und sie stöhnte: »Miß Evans, ich möchte mich nur langlegen und sterben.«
    »Das können Sie später tun. Jetzt los.«
    Wir hatten einige angstvolle Minuten, sie durch den engen Korridor zu schleusen — sie mußte seitwärts gehen wie ein kranker Krebs. Kurz vor der Tür zum Salon drehte ich sie wieder in die richtige Richtung. Ich inspizierte sie vom, Mrs. Buckingham hinten. Und ich sagte: »Also drandenken: Langsam gehen, ganz langsam, und geradehalten.« Sie nickte, zitternd wie Espenlaub, und so ließen wir sie hinein.
    Sie brachte wirklich den Verkehr zum Stocken. Sie war ein hübsches, kleines Wesen, süß, jung, natürlich; und in dem 2500-Dollar-Gewand sah sie aus wie ein Engel. Es bauschte sich um sie; es glitzerte und schimmerte; es rauschte leise; es nahm das Auge tausendfach magisch gefangen, so daß sie schlank und jungfräulich und zur gleichen Zeit hinreißend üppig und verführerisch aussah. Ihre Blässe machte das Gesicht vollkommen; sie fürchtete sich vor dem großen Mysterium Liebe; mit Zittern sah sie das Ende ihrer Unschuld nahen etc. etc. Ich hatte schon immer den Argwohn gehabt, daß Alice an Nasenpolypen litt, und jetzt war ich dessen sicher. Das Atmen fiel ihr schwer, und folglich war ihr Mund leicht geöffnet, als sehne sie sich, geküßt zu werden, und ihre Brust hob und senkte sich so schnell, daß sie unter dem perlenbestickten Mieder leidenschaftlich zu beben schien. Durch die ungeheure Schwere des Gewandes schwankte sie beim Gehen aufreizend und knickte mit dem Hinterteil bei jedem Schritt ein, so daß sie alles in allem aussah wie eine Mischung aus Ophelia und Alice im Wunderland. Ich schwöre, daß wir noch nie eine so zauberhafte

Weitere Kostenlose Bücher