Lauter Bräute
Aber sie gehörten ihr, und niemand hatte ein Recht, sie zu sehen oder über sie zu reden ohne ihre Einwilligung. Ich konnte die Sachen zurückhängen an ihren Platz, in mein Büro gehen, meinen Hut und meine Handtasche nehmen und Fellowes den Rücken kehren; gewonnen wäre damit nichts. Mr. Dietrich würde einfach eine der Beraterinnen anweisen, das zu tun, was ich unterlassen hatte. Das Endergebnis würde das gleiche sein.
Ich ging hinaus ins Foyer. Mr. Dietrich saß mit Mr. Brown auf dem Sofa und redete lebhaft auf ihn ein. Kirkpatrick stand schweigend daneben. Lucy saß neben ihrem Vater, sittsam und gerade wie immer, doch ihr Blick war traumverloren, in weiter Feme.
»Ah-hah«, sagte Mr. Dietrich, als er meiner ansichtig wurde, »da sind wir ja. Sehr schön, Miß Evans. Das ging ja sehr schnell. Nun lassen Sie uns mal sehen, was Miß Brown sich ausgesucht hat.«
»Ich würde es gern auf einen Vorführständer hängen, Sir.«
Ohne ein Wort ging Kirkpatrick zum nächsten Bügelständer und brachte ihn mir herüber. »Danke«, sagte ich. Er gab keine Antwort.
Ich arrangierte das Kleid sorgfältig; ebenso den Schleier; dann trat ich zur Seite. Mr. Dietrich sah jetzt bekümmert aus, als habe er keine Ahnung, wie diese seltsame Szene enden werde. Mr. Brown war sprungbereit, angespannt wie eine Wildkatze. Er stand auf und ging langsam um den Ständer herum, das Kleid von allen Seiten .begutachtend.
Dicht vor mir blieb er stehen. Er lächelte. Es war ein geringschätziges Lächeln. »Hundertzehn Dollar, wie?«
»Ja, Sir.«
Er blickte hinüber zu seiner Tochter. »Du hattest recht, Lucy.«
»Findest du, Papa?« sagte sie unschuldig.
»Ganz entschieden. — Dietrich, soll ich Ihnen was sagen? In diesem kleinen Ding da würde ich keiner meiner Töchter erlauben, auch nur Muscheln zu buddeln.«
Mr. Dietrich lachte herzlich.
»Meinen Sie, ich scherze, Dietrich? Das ist ein Fetzen.«
»Gestatten Sie, ich bin anderer Meinung«, begann Mr. Dietrich. »Zugegeben, es ist ein bescheidenes, kleines Modell. Aber es hat einen gewissen Stil, einen gewissen eigenen, einfachen Chic —«
»Quatsch«, erklärte Mr. O. B. Brown.
»Was meinst du, Russ«, fragte Mr. Dietrich.
»Ist mir völlig egal, was irgendwer meint«, sagte Brown. »Ich sage, es ist ein Fetzen, und ich sage, sie kann das nicht tragen. Damit basta. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, also kommen wir zur Sache. Welches ist das teuerste Kleid in diesem Laden?«
Mr. Dietrich fragte leise: »Miß Evans?«
Ich holte tief Luft. »Das teuerste Kleid in unserer Kollektion im Augenblick ist ein importiertes französisches Originalmodell aus handbestickter Alençon-Spitze —«
»Ich habe nicht nach technischen Einzelheiten gefragt«, unterbrach mich Mr. Brown. »Was besagt das Preisschild an dem Kleid?«
Ich holte wieder tief Atem: »Zweitausendfünfhundert Dollar, Sir.«
»Sie haben die Maße meiner Tochter?«
»Ja, Sir.«
»Zeigen Sie mir das Kleid.«
Ich wollte schreien: Aber das können Sie nicht tun; das können Sie doch nicht tun. Er konnte. Er konnte tun, was er wollte, solange es damit endete, daß er einen Scheck ausschrieb. Ich sah wieder zu Kirkpatrick hinüber, und wieder nickte dieser leicht. Ich sagte: »Ja, Mr. Brown, ich hole es.«
»Papa«, piepste Lucy.
»Was, mein Herzblatt?«
»Du kannst gar nichts sagen, wenn du es bloß siehst. Laß es dir von jemandem vorführen. — Miß Alice, die hübsche Dame da am Schreibtisch, sie ist genauso groß wie Helen und auch blond. Ob sie nicht das Kleid für meinen Vater anziehen könnte?«
Ich hätte Lucy am liebsten das Hälschen umgedreht.
»Wie ist’s, Dietrich?« fragte Mr. Brown.
»Prächtige Idee«, erklärte Mr. Dietrich begeistert. Er bedachte Lucy mit einem strahlenden Lächeln. »Du bist eine ganz Helle, mein Kind. Du kannst jederzeit kommen und bei mir Direktor werden.« Ich war sicher, daß auch er ihr am liebsten das Hälschen umgedreht hätte.
Sie zeigte ihre Grübchen.
»Schön«, erklärte Brown mit einem Blick auf seine Uhr. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, also beeilen wir uns.«
Alice hatte eine Heidenangst, das arme Kind. Sie hatte in ihrem Leben noch kein Brautkleid vorgeführt und war einem Zusammenbruch nahe. Ich holte mir Mrs. Docherty und Estelle und Mrs. Buckingham zusammen, und gemeinsam kleideten wir Alice in der großen Anprobe an, da das Kleid in keine der normalen Kabinen hineinging. Während der ganzen Zeit, als wir an ihr zu tun hatten, bat sie
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