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Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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reden; aber es interessiert mich: wie ging die Sache mit dem Carroll-Mädchen und ihren Freundinnen weiter?«
    »Sie sind unter eigenem Dampf abgezogen. Miß Carroll kommt nächste Woche wieder.«
    »Hm.«
    Wieder schwieg er eine halbe Minute, während der Taxifahrer den Verkehrsknäuel vor uns anhupte. Dann fuhr Kirkpatrick mit gesenktem Blick fort: »Ich hatte gehofft, mich heute nachmittag mit Ihnen unterhalten zu können.«
    »Oh?«
    »Ich sagte Ihnen wohl, daß ich ein langes Gespräch mit Mr. Dietrich über die Abteilung Brautausstattungen hatte.«
    Mir kroch es kalt über den Rücken. »Ja.«
    »Wir beabsichtigen einige Veränderungen«, fuhr er fort. »Ich werde sie morgen früh mit Ihnen durchsprechen. Sind Sie um elf Uhr frei?«
    »Ich denke schon.«
    Plötzlich drückte er seine Zigarette aus und erklärte: »Ich kann Ihnen auch ebensogut jetzt ganz kurz sagen, was Mr, Dietrich und ich besprochen haben. Die Einzelheiten können wir morgen durchgehen. Mrs. Snell wird nicht zu Fellowes zurückkehren, wenn sie aus dem Krankenhaus kommt.«
    »Oh, nein!«
    »Ihre Ärzte haben ihr geraten, in einem milderen Klima zu leben. Das Pensionsalter hat sie sowieso erreicht; sie wird nach Florida ziehen.«
    Tiefe Trauer im Herzen saß ich da. Mrs. Snell war eine strenge, kleine Frau, aber absolut aufrichtig und vertrauenswürdig. Fast alles, was ich wußte, hatte ich von ihr gelernt. Der Gedanke, sie nicht wiederzusehen, kam mir unerträglich vor.
    Kirkpatrick fuhr fort: »Mr. Dietrich und ich haben geraume Zeit darauf verwandt, die diversen Nachfolgemöglichkeiten für sie in Betracht zu ziehen. Wir waren uns darin einig, daß Sie an erster Stelle stehen.«
    Ich wandte mich ihm voll zu und sagte: »Aber das ist absurd!«
    »Warum ist es absurd?«
    »Ich kann Mrs. Snells Posten nicht ausfüllen. Ich habe nicht die Erfahrung.«
    »Mrs. Snell hat ihre Abteilung mehr als fünfundzwanzig Jahre geleitet. Wir können von Ihnen gerechterweise nicht diese Fülle an Erfahrung erwarten. Andererseits sind Sie jünger und beweglicher.«
    »Mr. Kirkpatrick, ich mag jünger und beweglicher sein, aber Sie wissen aus eigener Beobachtung, daß ich alles verkorkse.«
    Er nahm diesen kleinen Ausbruch mit Haltung hin und antwortete — beinahe vergnügt, wie mir schien »Ganz ehrlich gesagt, habe ich Mr. Dietrich erklärt, daß Sie meiner Beobachtung nach dazu neigen, gelegentlich recht impulsiv zu sein, daß ich im großen und ganzen aber von Ihrer Arbeit positiv beeindruckt und der Auffassung bin, daß Sie den Posten hervorragend ausfüllen werden.«
    Er war von meiner Arbeit beeindruckt. Er fand, daß ich den Posten hervorragend ausfüllen würde. Ich begann zu zittern. Das Taxi brach durch den Verkehr, heulte die 34. Straße hinunter und preschte, da alle Verkehrsampeln günstig standen, ohne Halt bis zur 23. Straße. Dort sagte Kirkpatrick, als Nachsatz gewissermaßen: »Ich muß hinzufügen, daß der neue Posten automatisch eine erhebliche Gehaltserhöhung mit sich bringen wird. Das ist einer der Punkte, die wir morgen im einzelnen ergründen werden.«
    Er konnte unmöglich lesen, was in meinem Kopf vor sich ging. Im Augenblick wollte ich gar nichts ergründen, nicht einmal eine beträchtliche Gehaltserhöhung. Ich war zutiefst betroffen und erregt darüber, daß Mrs. Snell noch immer krank war und nicht zu uns zurückkehren würde; und mich überfielen tausend Ängste bei dem bloßen Gedanken, daß ich versuchen sollte, ihre Stelle einzunehmen. Sie besaß nicht nur immense Autorität, sondern eine angeborene königliche Überlegenheit. Ich hatte nichts Königliches an mir. Ich konnte niemals mit der Autorität handeln wie sie. Ich konnte nicht in ihr Büro ziehen. Ich konnte bei Besprechungen mit der Direktion im großen Konferenzsaal nicht ihren Platz einnehmen. Ich konnte nicht auf hektische Einkaufsreisen nach Boston und Dallas und Los Angeles und Dublin und Paris und Rom gehen; ich konnte nicht Entscheidungen treffen, bei denen es täglich um Zehntausende von Dollar ging. Ich war für ein solches Maß an Verantwortung einfach noch nicht reif.
    Plötzlich kurvte das Taxi an den Straßenrand und hielt. Ich blickte hinaus und sagte: »Oh, da sind wir, 10. Straße. Haben Sie vielen Dank, Mr. Kirkpatrick.«
    Ich schickte mich an auszusteigen, doch er gab dem Fahrer eine Dollarnote und etwas Kleingeld und sagte zu mir gewandt: »Ich steige auch aus.«
    Das Taxi fuhr davon, und wir standen uns in dem grau-rosa Abenddämmer gegenüber.

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