Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
Vom Netzwerk:
Verwirrt und taumelig, die Handtasche an mich gepreßt, hatte ich keinen Schimmer, was er als nächstes tun oder sagen würde.
    Er sagte: »Miß Evans« — dann Pause.
    »Ja?« erwiderte ich mit einem Seufzer. Ich weiß nicht, warum ich seufzte. Vielleicht einfach aus nervöser Erschöpfung. Sein Gesicht war ausdruckslos. »Wenn Sie nichts vorhaben und nicht in Eile sind, möchte ich vorschlagen, daß wir irgendwo einen Schluck zusammen trinken.«
    Ich meinte, nicht recht gehört zu haben. »Trinken?«
    »Um Ihre neue Stellung zu feiern.« Er machte eine vage Geste. »Das Fifth Avenue Hotel ist gleich da unten.«
    Ich hatte tatsächlich nichts weiter vor, außer einer Verabredung zum Abendessen bei Suzanne. Und in großer Eile war ich auch nicht, denn erfahrungsgemäß gelang es Suzanne nie, das Abendessen früher als erheblich nach acht Uhr auf den Tisch zu bringen. Außerdem hatte mir dieser Tag mit allem, was er gebracht hatte, einen regelrechten Gemütsschock versetzt, und ich hatte einen Drink wahrscheinlich nötig.
    Doch wenn dieser Mann und ich zusammen einen trinken gingen, so durfte dies, wie ich fand, keinesfalls unter sozusagen falscher Flagge vor sich gehen; deshalb erwiderte ich:
    »Finden Sie nicht, daß es zum Feiern noch etwas früh ist, Mr. Kirkpatrick? Ich habe mich noch nicht entschieden; ich weiß noch nicht ganz, ob ich die richtige Nachfolgerin für Mrs. Snell bin.«
    »Das ist nicht Ihr Ernst.«
    »Doch«, rief ich.
    »Miß Evans«, sagte er ruhig, »betrachten Sie die Dinge einmal einen Moment ganz nüchtern. Wenn Sie den Posten nicht übernehmen, müssen wir uns notgedrungen nach jemand anderem umsehen. Bei Fellowes selbst gibt es außer Ihnen niemanden mit den entsprechenden Qualifikationen; wir Würden daher wahrscheinlich gezwungen sein, jemanden von außen, aus einem anderen Hause, hereinzubringen. Können Sie sich das vorstellen?«
    Er. hatte haargenau ins Schwarze getroffen. Mrs. Snell zu verlieren, mochte mir zwar einen Schlag versetzt haben; die Aussicht, in ihre Fußstapfen zu treten, mochte mich zurückschrecken lassen; doch beim bloßen Gedanken, einen Fremden ihren Platz einnehmen zu lassen, sträubten sich mir die Nackenhaare. Das wäre unerträglich, gänzlich unmöglich. Von einem Fremden Befehle annehmen, in meiner Abteilung? Niemals.
    Wir gingen die kurze Strecke bis zum Fifth Avenue Hotel zu Fuß.

    Er bestellte einen Scotch, ich einen Martini. In einer Ecke der geräumigen Halle spielten eine große, schlanke Geigerin und ein hübscher, lockenköpfiger Pianist mit Gefühl >Greensleeves<.
    Anfangs waren wir beide reichlich gehemmt. Wir kannten uns nur als zwei Menschen — meist uneins miteinander — die im fünften Stock eines großen New Yorker Warenhauses existierten. Doch als wir unser erstes Glas geleert hatten, und die Geigerin begann, >Lady of Spain< zu spielen, waren wir bereits wesentlich gelöster. Wir waren heruntergestiegen aus dem fünften Stock von Fellowes und hatten vergessen, daß wir dort fünf Tage in der Woche acht Stunden täglich eingesperrt verbrachten. Wir waren frei, entspannt, und die Musik im Hintergrunde klang fröhlich und sehr gefühlvoll. Wir sprachen über meine Schule Bryn Mawr. Wir sprachen über Moberly/Massachusetts. Wir sprachen über meine zwei Jahre an der Botschaft in Paris. Wir sprachen über meinen Onkel D’Arcy. Wir sprachen über meine Reisen durch England und Italien. Wir sprachen über meine Wohnung in der 10. Straße, über die Bücher, die mir im letzten Jahr besonders gefallen hatten, die Theaterstücke und Filme, die ich gesehen, die Musik, die ich gehört hatte.
    Und allmählich merkte ich, daß er nicht nur ein übellauniger, herrschsüchtiger Vorgesetzter war. Das rote Haar hätte mich eigentlich gleich auf die richtige Spur führen sollen, was seinen Charakter anging: Er war schlau, gerissen. Ein Fuchs. Er wußte nämlich, daß es kein interessanteres Gesprächsthema gibt als die eigene Person. Noch kurze Zeit, und er hätte mich soweit gebracht, daß ich ihm meine ganze Lebensgeschichte erzählte.
    Ehe wir zu den Klängen von Hoffmanns Erzählungen unsere Gläser ein zweites Mal geleert hatten, drehte ich den Spieß um, und wir sprachen nun über Yale, das Technologische Institut Massachusetts, das Leben in einem U-Boot-Hafen und einige bemerkenswerte Untersuchungen, die er in Alaska über die physiologischen und seelischen Belastungen in atomgetriebenen Langstrecken-U-Booten durchgeführt hatte. (»Langweile ich Sie

Weitere Kostenlose Bücher