Lauter reizende alte Damen
Mittelalter gehört? Sie spielt in unserem Laienspiel die Hexe. Und sie sieht wirklich so aus, wie man sich eine Hexe vorstellt, nicht wahr?«
»Ja, aber wie eine freundliche Hexe.«
»Oh, meine Liebe, Sie haben vollkommen Recht! Ja, eine freundliche Hexe.«
»Aber er…«
»Ja, er ist ein armer Mann«, bestätigte der Vikar. »Er ist etwas gestört – aber ganz harmlos.«
»Sie waren sehr freundlich. Sie haben mich zum Tee eingeladen«, erzählte Tuppence. »Aber ich hätte gern den Namen des Hauses gewusst, und ich habe vergessen, sie zu fragen. Sie bewohnen nur die Hälfte, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt. Den so genannten alten Küchentrakt. Sie nennen das Haus ›Wasserburg‹, aber ich glaube, dass es früher ›Wasserwiese‹ hieß, was eigentlich viel hübscher ist, nicht?«
»Und wem gehört der andere Teil des Hauses?«
»Früher hat das ganze Haus den Bradleys gehört. Aber das ist schon lange her. Dreißig oder vierzig Jahre. Dann wurde es verkauft und noch mal verkauft, und dann stand es lange leer. Als ich herkam, hatte es jemand als Wochenendhaus. Eine Schauspielerin – ja, eine Miss Margave. Sie war nur selten hier. Ich habe sie nicht gekannt; sie kam nie zur Kirche. Aber ich habe sie gesehen. Sie war schön, sehr schön.«
»Und wem gehört es denn jetzt?« fragte Tuppence beharrlich.
»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht immer noch ihr. Die Perrys haben ihren Teil nur gemietet.«
»Wissen Sie, dass ich es wiedererkannt habe?«, sagte Tuppence. »Auf den ersten Blick. Ich habe ein Bild von dem Haus.«
»Ach nein? Das muss von Boscombe sein. Oder hieß er nun Boscobel? Na, ganz ähnlich auf jeden Fall. Er war aus Cornwall. Ein recht bekannter Maler. Ich glaube, er lebt nicht mehr. Ja, er ist oft hierher gekommen. Er hat viel in dieser Gegend gezeichnet und gemalt.«
»Das Bild, von dem ich sprach, ist einer alten Tante von mir geschenkt worden, die vor einem Monat gestorben ist. Sie hat es von einer Mrs Lancaster bekommen. Deswegen fragte ich Sie auch nach dem Namen.«
Der Vikar schüttelte abermals den Kopf. »Lancaster? Lancaster. Nein, ich kann mich nicht erinnern. – Oh, hier ist der Mensch, den Sie fragen müssen. Unsere liebe Miss Bligh. Sie ist so tüchtig, und sie weiß alles über die Gemeinde. Sie hat alles in der Hand. Den Frauenring, die Pfadfinder, ach, einfach alles…« Der Vikar seufzte. Die Tüchtigkeit von Miss Bligh schien ihn zu bekümmern. »Nellie Bligh heißt sie im Dorf. Es ist ein Spitzname. In Wirklichkeit heißt sie Gertrude oder Geraldine.«
Miss Bligh – sie war die Dame in Tweed, die Tuppence in der Kirche gesehen hatte – kam rasch auf sie zu. Sie hielt eine kleine Gießkanne in der Hand, betrachtete Tuppence voller Neugier, verstärkte das Tempo noch und begann schon ein Gespräch, ehe sie bei ihnen war. »Fertig!«, rief sie strahlend. »Musste heute ganz schnell gehen. Oh, was habe ich mich beeilt. Sie wissen ja, Herr Vikar, dass ich sonst immer morgens in die Kirche gehe. Aber heute hatten wir eine Sondersitzung im Gemeindehaus, und Sie können sich nicht vorstellen, was das lange gedauert hat! Und das ewige Hin und Her! Manchen Leuten macht es eben Spaß, gegen alles zu sein. Mrs Partington war besonders schrecklich. Sie musste endlos über alles debattieren. Und ob wir genügend Kostenvoranschläge hätten? Als ob das bei dem kleinen Betrag was ausmachte! – Übrigens glaube ich nicht, Herr Vikar, dass Sie auf dem Grabstein sitzen sollten.«
»Halten Sie das für eine Entweihung?«
»Aber nein doch, Herr Vikar. Das habe ich nicht gemeint. Ich meine den Stein. Wegen der Feuchtigkeit und Ihrem Rheumatismus…« Ihr Blick ruhte fragend auf Tuppence.
»Darf ich Sie mit Miss Bligh bekannt machen?«, sagte der Vikar. »Dies ist…« Er zögerte.
»Mrs Beresford.«
»Oh, ich habe Sie schon in der Kirche gesehen. Ich wäre gern zu Ihnen gekommen und hätte Ihnen die Sehenswürdigkeiten gezeigt, aber ich hatte es so schrecklich eilig.«
»Ach, ich hätte Ihnen helfen sollen«, sagte Tuppence in ihrem allerliebenswürdigsten Tonfall. »Aber das wäre wohl sinnlos gewesen, denn ich habe beobachtet, wie akkurat Sie jede einzelne Blume an ihren Platz steckten.«
»Wie nett von Ihnen, das zu sagen. Es stimmt auch. Ich habe den Blumenschmuck in der Kirche schon seit – ach, ich weiß nicht seit wie vielen Jahren gemacht. An den Festen stellen die Schulkinder ihre eigenen Feldblumensträuße auf, aber sie wissen wirklich nicht, wie man das macht, die
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