Lauter reizende alte Damen
Tage sind und die Dame sich nicht daran stört – vielleicht…«
Zu diesem Zeitpunkt riss sich Miss Bligh widerstrebend los, denn sie hatte noch nicht alles aus Tuppence herausbekommen, was sie wissen wollte. Woher sie käme, was ihr Mann für einen Beruf hätte, wie alt sie sei, ob sie Kinder hätte und weiteres Wissenswertes. Aber in ihrem Haus fand eine Versammlung statt, die sie leiten musste. Offenbar hatte sie entsetzliche Angst, dass ihr jemand den Vorsitz streitig machen könnte. »Sie werden sich bei Mrs Copleigh wohl fühlen«, versicherte sie Tuppence. »Sie wird sich schon um Sie kümmern.«
Damit war alles höchst zufrieden stellend geregelt. Das nächste Problem war das Abendessen. Tuppence fragte, ob es im Dorf eine Wirtschaft gäbe.
»Nichts, wohin eine Dame gehen könnte«, behauptete Mrs Copleigh, »aber wenn Sie mit Eiern und Schinken zufrieden sind und mit Brot und meiner selbst gemachten Marmelade…«
Tuppence meinte, das sei genau das Richtige. Ihr Zimmer war klein, aber hübsch und freundlich. Die Tapete zeigte ein Rosenmuster, das Bett sah bequem aus, und alles war blitzblank.
»Ja, das ist eine schöne Tapete, Miss«, sagte Mrs Copleigh, die Tuppence offenbar lieber unverheiratet hatte. »Wir haben sie ausgesucht, damit ein junges Paar auf der Hochzeitsreise sich hier wohl fühlt. Wir wollten es gern romantisch.«
Tuppence verstand. Sie fand Romantik sehr wünschenswert.
»Jungverheiratete haben heutzutage kein Geld. Auf jeden Fall weniger als früher. Die meisten sparen auf ein Haus oder müssen schon Raten zahlen; und dann bleibt nichts für die Hochzeitsreise übrig. Die verschwenden heute kein Geld mehr für so was.«
Sie redete noch, als sie bereits die Treppe hinunterstieg. Tuppence legte sich aufs Bett und genehmigte sich nach diesem anstrengenden Tag eine halbe Stunde Schlaf. Sie setzte große Hoffnungen auf Mrs Copleigh und war sicher, dass sie die Unterhaltung auf ergiebige Themen bringen könnte. Bestimmt würde sie alles über das Haus am Kanal erfahren; wer dort gelebt hatte, wer in gutem oder schlechtem Ruf stand, was für Skandale es gab und anderes mehr. Diese Überzeugung wuchs noch, als sie Mr Copleigh kennen gelernt hatte, der kaum den Mund auftat. Seine Unterhaltung bestand zum größten Teil aus freundlichen Grunztönen.
Soweit Tuppence es übersah, war es ihm recht, wenn er das Reden seiner Frau überlassen konnte. Und Mrs Copleigh ersetzte jedes Radio und jedes Fernsehgerät. »Wenn Sie etwas wissen wollen, fragen Sie uns« – das war ihr Motto. Man brauchte nur an einem Knopf zu drehen, schon quollen Worte hervor, begleitende Gesten und die passende Mimik. Nicht nur ihre Figur erinnerte an einen Gummiball, auch ihr Gesicht schien aus diesem Material gemacht zu sein. Tuppence konnte die Leute, über die gesprochen wurde, leibhaftig vor sich sehen.
Tuppence aß Schinken und Eier und dicke Scheiben Butterbrot mit selbsteingemachtem Brombeergelee. Gleichzeitig versuchte sie, die Flut von Informationen in sich aufzunehmen, um sich später Notizen zu machen. Ein Panorama der Vergangenheit breitete sich vor ihr aus.
Allerdings wurde es schwierig, weil Mrs Copleigh keine zeitliche Reihenfolge einhielt und von Ereignissen, die fünfzehn oder zwanzig Jahre zurücklagen, zu Dingen sprang, die vor einem Monat geschehen waren, um dann sofort in die zwanziger Jahre zurückzukehren.
Der erste Knopf, den Tuppence gedreht hatte, brachte kein Resultat. Es war ihre Erwähnung von Mrs Lancaster.
»Ich glaube, sie kam aus dieser Gegend«, sagte sie und ließ ihre Stimme recht vage klingen. »Sie hatte ein Bild, ein sehr hübsches Bild, von einem Maler, der hier sehr bekannt war.«
»Und wie hieß sie?«
»Mrs Lancaster.«
»Nein, an den Namen kann ich mich nicht erinnern. Lancaster? Ich erinnere mich wohl an einen Autounfall. Nein, das ist ein Irrtum, das Auto war ein Lanchester. Miss Bolton kann es nicht gewesen sein? Die müsste jetzt so etwa siebzig sein. Vielleicht hat sie einen Mr Lancaster geheiratet. Sie ist fortgezogen und hat im Ausland gelebt. Ich habe gehört, sie hätte geheiratet.«
»Das Bild, das sie meiner Tante geschenkt hat, war von einem Maler Boscobel – wenigstens glaube ich, dass er so hieß. – Oh, das Gelee ist aber köstlich!«
»Ich nehme nie Äpfel. Es heißt ja immer, dass es dann besser geliert, aber das ganze Aroma geht verloren.«
»Ja, das finde ich auch«, sagte Tuppence.
»Wie hieß er noch? Es fing mit B an?«
»Boscobel, glaube
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