Lauter reizende alte Damen
sind heimlich davongegangen. Wir saßen auf einem Felsen und schauten aufs Meer hinaus.«
Tommy betrachtete ihn sehr interessiert. Er sah die vielen Kinnfalten, den kahlen Kopf, die buschigen Brauen und den enormen Bauch. Er dachte an Tante Ada mit dem Schnurrbart, dem grimmigen Lächeln, den grauen Haaren und den boshaften Augen. Zeit! dachte er. Was die Zeit den Menschen antut! Er versuchte, sich einen hübschen jungen Leutnant und ein hübsches Mädchen im Mondschein vorzustellen. Er konnte es nicht.
»Romantisch«, stellte Sir Josiah Penn seufzend fest. »Ach, war das romantisch. Ich hätte ihr an dem Abend so gern einen Heiratsantrag gemacht, aber als kleiner Leutnant konnte man das nicht. Wir hätten fünf Jahre warten müssen, ehe wir heiraten konnten. Eine so lange Verlobungszeit konnte man keinem Mädchen zumuten. Und dann – Sie wissen ja, wie es dann weitergeht. Ich kam nach Indien, und es dauerte lange, bis ich wieder auf Urlaub kam. Wir schrieben uns anfangs, aber das schlief dann ein. Ich habe sie nie wiedergesehen. Aber vergessen habe ich sie auch nicht. Jahre danach hätte ich ihr fast geschrieben. Ich wollte fragen, ob ich sie besuchen dürfte. Aber dann kam mir das so dumm vor. Und ich wusste doch gar nicht, wie sie inzwischen aussah. – Später hat mal jemand von ihr gesagt, sie sei die hässlichste Frau, die er je gesehen habe. Vorstellen konnte ich mir das nicht, aber jetzt glaube ich doch, es war ein Glück, dass ich sie nicht wiedergesehen habe. – Was ist mit ihr? Lebt sie noch?«
»Nein, sie ist vor drei Wochen gestorben.«
»Ach? Wirklich? Ja, sie muss ja wohl auch fünfundsiebzig oder sechsundsiebzig gewesen sein? Vielleicht sogar noch älter.«
»Achtzig«, sagte Tommy nicht ganz wahrheitsgetreu.
»Wenn man sich das vorstellt! Die dunkelhaarige, lebendige Ada! Wo ist sie gestorben? Hatte sie eine Pflegerin? Geheiratet hat sie doch nicht?«
»Nein, nie. Sie war in einem Heim. Sogar in einem sehr hübschen Heim. Haus Sonnenhügel.«
»Von dem hab ich gehört. Sonnenhügel. Ja, da war eine Bekannte meiner Schwester. Eine Mrs… Ach ja, Mrs Carstairs? Ist Ihnen die mal über den Weg gelaufen?«
»Nein, aber ich hab kaum jemanden dort gekannt. Ich habe immer nur meine Tante besucht.«
»Ach, das ist ja schon schwierig genug. Ich meine, man weiß nie, was man mit ihnen reden soll.«
»Tante Ada war mehr als schwierig«, sagte Tommy. »Sie war ein Besen.«
»Kann ich mir vorstellen.« Der General grinste. »Schon als Mädchen konnte sie ein ausgemachter kleiner Teufel sein.« – Er seufzte. »Tut mir Leid, dass sie tot ist. Hab’s nicht in der Zeitung gesehen. Hätte sonst Blumen geschickt. Einen Strauß Rosenknospen. Haben die Mädchen damals an ihren Abendkleidern getragen. Ein paar Rosenknospen auf der Schulter des Kleides. Hübsch war das. Ja, ich weiß schon«, sagte er mit einem Blick auf Tommy, »Sie finden mich sicher urkomisch. Aber ich sage Ihnen, lieber Junge, wenn Sie mal so alt sind wie ich, dann werden Sie auch sentimental. Na, ich muss langsam los. Der letzte Akt dieser albernen Komödie fängt an. Empfehlungen an Mrs Tommy, wenn Sie nach Hause kommen.«
Tommy dachte am nächsten Tag im Zug an diese Unterhaltung und grinste vor sich hin, als er sich seine bösartige Tante und den wilden General in ihrer Jugend vorzustellen versuchte.
»Ich muss es Tuppence erzählen«, murmelte er. »Mal sehen, was sie während meiner Abwesenheit getan hat.«
Der treue Albert öffnete die Tür mit einem strahlenden Willkommenslächeln. »Ich freue mich, dass Sie wieder da sind, Sir.«
»Ich auch.« Tommy ließ sich den Koffer entreißen. »Wo ist meine Frau?«
»Noch nicht zurück, Sir.«
»Wieso? Ist sie fort?«
»Schon seit zwei Tagen. Aber sie hat gestern angerufen und gesagt, sie käme heute zum Nachtessen.«
»Was macht sie denn, Albert?«
»Das kann ich nicht sagen, Sir. Sie ist mit dem Wagen gefahren. Aber Kursbücher hat sie auch mitgenommen. Sie kann überall sein.«
»Weiß der Himmel!« bestätigte Tommy. »Vielleicht hat sie in Klein-Kleckersdorf auf der Marsch den letzten Anschluss verpasst. Gott segne die britische Eisenbahn. Gestern hat sie also angerufen? Von wo?«
»Das hat sie nicht gesagt.«
»Und wann gestern?«
»Vormittags, vor dem Lunch. Sie hat nur gesagt, es sei alles in Ordnung. Sie wusste nicht genau, wann sie nach Hause kommen würde, aber bestimmt vor dem Nachtessen. Sie meinte, ein Hähnchen wäre richtig. Passt Ihnen das,
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