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Lauter reizende alte Damen

Lauter reizende alte Damen

Titel: Lauter reizende alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Sie war sich genau bewusst, dass sie feststellen wollte, ob sie ihn sich als Mörder vorstellen konnte – und zwar als Kindesmörder.
    Wie alt mochte er sein? Mindestens siebzig, vielleicht älter. Ein müdes Asketengesicht. Ja, asketisch, vom Leid gezeichnet. Diese großen, dunklen Augen. El-Greco-Augen. Der ausgemergelte Körper.
    Warum war er heute Abend gekommen? – Ihre Augen richteten sich auf Miss Bligh. Sie rückte mal ein Tischchen näher zu einem der Gäste, bot Kissen an, schob eine Zigarettenschachtel oder Streichhölzer hin und her. Unruhig, befangen. Sie sah Sir Philip Starke an. Jedesmal, wenn sie still saß, ruhte ihr Blick auf ihm.
    Hündische Ergebenheit, dachte Tuppence. Sie muss ihn mal sehr geliebt haben. Nein, sie liebt ihn immer noch. Man hört nicht auf, jemanden zu lieben, nur weil man alt wird. Junge Leute wie Derek und Deborah denken das. Aber ich glaube, dass sie immer noch in ihn verliebt ist. Sie liebt ihn hoffnungslos und voller Hingabe. Wer hat denn gesagt, dass Miss Bligh in ihrer Jugend seine Sekretärin war und dass sie sich immer noch um seine Angelegenheiten kümmert? Der Vikar? Mrs Copleigh?
    Sekretärinnen verlieben sich oft in ihre Chefs. Nehmen wir also an, Gertrude Bligh hat Philip Starke geliebt. Hat das als Tatsache eine Bedeutung? Hat Miss Bligh gewusst, dass sich hinter diesem stillen Asketengesicht ein entsetzlicher Wahnsinn verbarg? Er hat Kinder so gern.
    Wenn man kein Psychiater ist, dachte Tuppence, weiß man so wenig über die Motive verrückter Mörder. Warum müssen sie Kinder ermorden? Woher kommt dieser Zwang? Bereuen sie hinterher? Sind sie entsetzt, verzweifelt, unglücklich? In diesem Augenblick merkte sie, dass er sie ansah. Er sah ihr gerade in die Augen, und sein Blick schien ihr etwas mitzuteilen.
    Du denkst über mich nach, sagten die Augen. Ja, das, was du denkst, ist wahr. Ich bin ein Gejagter.
    Sie zwang sich, den Blick abzuwenden, und sah nun den Vikar an. Sie hatte ihn gern. Er war ein guter Mensch. Wusste er etwas? Vielleicht, aber es mochte auch sein, dass er inmitten eines bösen Gespinstes lebte, von dem er nichts ahnte. Vielleicht geschah um ihn herum Böses, das er nicht erkannte, weil er im Zustand reiner Unschuld lebte.
    Mrs Boscowan? Mit Mrs Boscowan kannte man sich nicht so leicht aus. Eine Frau in mittleren Jahren – eine Persönlichkeit, hatte Tommy gesagt –, aber das drückte nicht genug aus. Als hätte Tuppence sie dazu veranlasst, erhob sich Mrs Boscowan plötzlich und sagte: »Ich würde gern mal eben nach oben gehen.«
    »Ach, ja!« Miss Bligh sprang auf.
    »Oh, ich kenne mich hier aus«, sagte Mrs Boscowan. »Lassen Sie nur. – Mrs Beresford? Kommen Sie mit? Ich zeige Ihnen den Weg.«
    So gehorsam wie ein Kind stand Tuppence auf. Sie wusste, dass sie einen Befehl erhalten hatte. Wenn Mrs Boscowan befahl, gehorchte man. Als sie so weit gedacht hatte, war Mrs Boscowan schon in der Diele, und Tuppence folgte ihr. Mrs Boscowan stieg die Treppe hinauf. Tuppence ebenfalls.
    »Das Gästezimmer ist gleich oben auf dem Treppenabsatz«, sagte Mrs Boscowan. »Es ist immer in Ordnung, und es hat ein Bad.« Sie öffnete die Tür und knipste im Zimmer Licht an.
    »Ich bin sehr froh, Sie hier getroffen zu haben. Ich hatte darauf gehofft. Ich war Ihretwegen beunruhigt. Hat Ihr Mann Ihnen das gesagt?«
    »Doch, ich habe ihn so verstanden.«
    »Ja, ich habe mir Sorgen gemacht.« Sie schloss die Tür, als sei dies ein Privatraum für Privatunterhaltungen, was er damit auch wurde. »Ist Ihnen eigentlich aufgegangen«, fragte Emma Boscowan, »dass Sutton Chancellor ein gefährlicher Ort ist?«
    »Für mich war es bereits gefährlich.«
    »Ja, ich weiß. Ein Glück, dass es nicht schlimmer gekommen ist, aber schließlich… ich verstehe es.«
    »Sie wissen etwas«, sagte Tuppence. »Sie wissen etwas über all diese Dinge, nicht wahr?«
    »Einerseits ja«, antwortete Mrs Boscowan, »andererseits nein. Es gibt Instinkte und Ahnungen… Und wenn sie sich als richtig herausstellen, dann ist das beunruhigend. Die Sache mit der Verbrecherbande ist so unglaublich. Sie scheint auch nichts mit…« Sie brach mitten im Satz ab. »Na, ich meine, so etwas hat es schon immer gegeben, nur ist heute alles so gut organisiert, wie – wie ein Geschäftsbetrieb. Und eigentlich ist nichts Gefährliches dabei. Das andere ist gefährlich. Es geht darum, dass man weiß, wo die Gefahr ist und wie man sich vor ihr schützt. Sie müssen vorsichtig sein, Mrs Beresford. Sie

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