Lauter reizende Menschen
ein knurriger Schulmeister, der nichts von der Methode des ,spielenden Lernens’ hält, aber danach unterrichten muß<, schloß Lucia ihre Beurteilung.
Kaum weniger kalt als er erwiderte sie: »Es handelt sich wirklich um eine Tankstelle, und wir verkaufen sogar Benzin. Allerdings kann es vorkommen, daß unser junger Mann einmal verhindert ist und der Kunde ein paar Minuten warten muß. Aber ich bin die Inhaberin und will Sie gern bedienen, wenn Ihre Zeit so ungemein kostbar ist! Wieviel darf es sein?«
Ein Lächeln zuckte um seine Lippen, offenbar ganz ungewollt. Zu ihrer Empörung schien er weder zerknirscht noch verlegen; vielmehr sagte er ganz ruhig in unverändert beißendem Ton: »Die Inhaberin? Nun, da darf man wohl die Tankstelle beglückwünschen — wenn auch vielleicht nicht die Kunden! Zwanzig Liter, bitte — und Öl!«
Das war schlimm! Der Mann fuhr einen Wagen, den Lucia nicht kannte, und sie hatte keine Ahnung, welches Öl er brauchte und wo man es einzufüllen hatte. Betreten schaute sie zum Bürofenster hinüber. Len telefonierte noch immer angelegentlich, und sie hörte ihn rufen: »Verstehst du den Namen nicht? Was ist denn heute bloß mit der Leitung?«
Der Fremde machte keinerlei Anstalten, den Ölstand seines Wagens zu prüfen oder sich das richtige Öl selbst auszusuchen. Er schlenderte vielmehr ruhig zur Rückseite des Wagens, wo Lucia den letzten Tropfen Benzin aus dem Schlauch schüttelte. »Sie nehmen es sehr genau! Aber meine Zeit ist tatsächlich kostbar! Wenn ich um das Öl bitten dürfte...«
Nach kurzem Zaudern ergriff sie aufs Geratewohl eine Flasche und fummelte an der Motorhaube des Wagens herum. Dann aber blieb ihr nichts übrig, als den Mann anzuschauen und ihn möglichst würdevoll zu fragen: »Verzeihung, ist das das richtige Öl? Ihr Wagentyp ist mir leider nicht geläufig.«
Er lächelte auf höchst aufreizende Art, nahm ihr die Flasche aus der Hand, stellte sie ins Regal zurück und ergriff eine andere. »Ich weiß nicht, ob Schweröl für Lastwagen meinem Auto sehr gut bekommen würde. Versuchen Sie lieber einmal das hier!«
Heiße Wut wallte in Lucia auf. >Ein richtiges Scheusal ist er!< dachte sie. >Er ahnt, daß ich neu bin, und nun möchte er mich aus purer Gemeinheit in Verlegenheit setzen.< Glücklicherweise kam in diesem Augenblick Len aus dem Büro gestürzt; entschuldigend lächelte er übers ganze Gesicht.
»Das Telefon hatte Mucken!« erklärte er verlegen, und schon nahm er Lucia, deren verzweifelte Lage er mit flinkem Blick erkannte, die Ölflasche aus der Hand. »Vorsicht, Sie werden sich Ihren neuen Kittel schmutzig machen!«
Wie dankbar sie ihm war! Er war wirklich ein flinker, umsichtiger Bursche. Der Fremde lächelte fein und bemerkte, als unterhielte er sich mit der Landschaft: »Gerettet!« Ärgerlich fuhr sie herum, aber er schien völlig in den Genuß der herrlichen Aussicht versunken. Lucia sah wohl ein, daß sie eigentlich lachend hätte gestehen müssen, ein Neuling zu sein, aber ausnahmsweise ließ ihr Humor sie im Stich. Der Kerl war reichlich unverschämt, und deshalb überhörte man seine bissigen Bemerkungen am besten. Immer wieder, bis zum Überdruß, hatte die Mutter geunkt, daß Lucia in der Einöde mit ungehobeltem Volk zusammenstoßen würde — und nun geschah es ihr tatsächlich! Dabei sah sie dem unverschämten Kerl an, daß er sich einbildete, besonders witzig zu sein.
Wie es Lucia zuweilen geschah, verließ sie sich auf den ersten Blick — und schon war der Fremde für sie erledigt. Dabei verrieten Benehmen und Sprechweise zweifellos Bildung, aber gleichzeitig brachten sie seine Überlegenheit nur noch ärgerlicher zur Geltung. Er war gut, aber schlicht gekleidet, und auf dem Hintersitz seines Wagens bemerkte das Mädchen ein Jagdgewehr. Er war also einer der Pirschgänger, von denen sie schon gehört hatte. Aber deshalb brauchte er sich doch nicht so aufzuspielen und die Einheimischen auszulachen!
Len hielt, wie üblich, mit seinem Wissensdurst nicht hinter dem Berg. »Sie wollen im Busch jagen, wie? Es gibt viel prächtiges Wild hier«, meinte er, während er die Windschutzscheibe putzte.
Der Fremde nickte kurz. »Jawohl, ich bin hinter Wild her!«
Aber Len ließ sich von seiner Schroffheit nicht einschüchtern. »Lagern Sie im Busch? Es gibt viele feine Flüsse im Wald, aber nachts wird es doch mächtig kalt. Da braucht man allerlei Decken.«
»Wenngleich ich Ihr so lebhaftes Interesse an meinem Tun und Lassen
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